Zur Solidarität verpflichtet?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vorgeschlagen, ein verpflichtendes soziales Jahr für Jugendliche einzuführen. Lea, die gerade ein freiwilliges soziales Jahr im Bundestag macht, hält das für keine gute Idee.  

Klatschen von den Bänken, manchmal Zwischenrufe, im Hintergrund das hektische Tippen der Stenografen – normalerweise ist es laut und geschäftig im Plenarsaal des Bundestages. Jetzt ist Sommerpause. Die warme Luft riecht leicht muffig, leise Stimmen einer Besuchergruppe sind zu hören. „Siehst du der Stuhl ist ein wenig höher als die anderen, dort sitzt der Bundeskanzler, aktuell also Olaf Scholz“, sagt Lea und zeigt auf einen der leeren Stühle im Plenarsaal.

Lea Bartels ist 19 Jahre alt und absolviert ein freiwilliges soziales Jahr im politischen Leben. Sie führt regelmäßig Besucher durch den Bundestag und arbeitet im Abgeordnetenbüro von Thomas Heilmann. Eine Comedy-Show hat ihr Interesse für Politik geweckt: „Am Anfang war es wirklich nur um die Witze in der Heute Show zu verstehen und dann ist mir die Bedeutung von Politik immer klarer geworden.“ Auf die Idee, ein FSJ zu machen, hat sie durch Zufall die Berufsberatung gebracht.  

Ihre Schritte hallen auf dem Steinboden. Bis auf drei plauschende Männer vom Sicherheitsdienst ist niemand in der Fraktionsetage. Neben einer Tür steht groß SPD, im Gang dahinter hängen die Bilder aller bisherigen Fraktionsvorsitzenden, darunter auch der jetzige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Anfang Juni hat er eine Debatte ausgelöst, als er ein verpflichtendes soziales Jahr für Jugendliche vorgeschlagen hat. „Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für eine gewisse Zeit in den Dienst der Gesellschaft stellen“, sagte er.

Die Idee eines freiwilligen sozialen Jahres ist nicht neu, aber der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Bedeutung von Solidarität betont. Lea ist für ehrenamtliches Engagement, aber ganz anderer Meinung als der Bundespräsident. „Ich denke, dass die Pandemie uns gut gezeigt hat, dass junge Menschen dazu bereit sind, für die Gesellschaft etwas zu tun. Viele haben sich wahnsinnig zurückgenommen oder haben andere unterstützt. Zum Beispiel ihre Nachbarn, die nicht rausgehen konnten, denen haben sie geholfen indem sie für diese eingekauft haben.“ 

Ein warmer Wind weht über die Kuppel des Reichstages. In der Ferne sieht man die Siegessäule. Manche Besucher genießen den Blick auf die Stadt, andere lesen konzentriert die Informationstafeln oder lauschen ihren Audioguides. Auf einem der Türme weht eine EU-Flagge. Nach Ihrem FSJ möchte Lea gerne Internationale Beziehungen studieren.

Lea findet es wichtig, dass Menschen solidarisch sind und sich ehrenamtlich engagieren. Allerdings denkt sie auch, dass viele sich gar nicht dieser Möglichkeit bewusst sind. Wenn man sich erst nach der Zeugnisverleihung, sprich meist im Juni, informiert, hat man Pech gehabt – die Bewerbungsfrist ist da schon durch. Auch sagt sie, dass es sich nicht alle Menschen finanziell leisten können, sich ein Jahr lang der Solidarität zu verpflichten. Sie plädiert deshalb dafür, dass das FSJ besser bezahlt wird. Das würde auch Menschen aus einkommensschwachen Haushalten die Chance geben, ein FSJ zu machen. Den Grundgedanken unterstützt sie auf jeden Fall: „Die Idee des Pflichtjahres ist, dass junge Menschen Solidarität zeigen sollen und ich denke nicht, dass man Solidarität erzwingen kann. Ich bin der Meinung, dass man die Strukturen, die wir schon haben, stärken sollte.“

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