Yahyas Rast-Platz

Frankreich, Afrika, Spanien – und nun die fränkische Provinz. Yahya träumt von einem ruhigen Leben, dafür hat er immer wieder das Land gewechselt. Nun lebt er in Schweinfurt zufrieden, aber noch nicht glücklich.

 „Ich habe oft im Leben überlegt, was anderes zu machen“, sagt Yahya Beloul Beibe. Seine Augen kleben am Straßenverlauf. Der Wind rauscht am Fenster vorbei, aber nicht so laut, dass er seine Worte übertönt. „Übersetzer, Bauarbeiter, alles Mögliche. Aber wozu? Lkw-Fahren ist der einzige Job, den ich brauche.“

Draußen ziehen die Baumwipfel vorbei. Der Motor brummt von unten beständig, laut und schwer. Der Geruch des Auspuffs schleicht sich hin und wieder durch die offenen Fenster. Yahya ist das alles gewohnt. Ein Meter mal zwei Meter. Sein Lenkrad, sein Steuer, sein Leben.

Etre tranquillement, so beschreibt er es. Ruhig sein, heißt das. Ruhig leben. Dafür macht er alles – auch seine Heimat verlassen.

Fünf kleine Monster-Energy-Sticker schmücken sein Armaturenbrett. Hinter dem Lenkrad liegen seine Anweisungen für den heutigen Tag. Fünf oder sechs Adressen, die er abklappern muss. Beladen, entladen. Entladen, beladen. Tag ein, Tag aus. Und immer weiterfahren. So geht das schon sein halbes Leben.

Vom Mittelmeer bis zur Rhön

Etre tranquillement. Das ist Französisch – Yahyas Muttersprache und die Sprache, auf der wir uns unterhalten. In Nizza wächst er auf, verlässt aber die Heimat mit 18 und fährt 25 Jahre lang in Spanien Lkw. Sein Spanisch ist fließend, so wie sein Arabisch, sein Englisch, und eine Sprache aus Mauretanien, dem Heimatland seiner Mutter. Nur noch Deutsch fehlt. Als Lkw-Fahrer wurde Yahya aus dem Ausland angeworben, um hier dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. 10.000 Lkw-Fahrer fehlen der deutschen Logistikbranche laut des Bundesamtes für Güterverkehr. Aus wirtschaftlich schwächeren EU-Ländern sollen sie kommen.

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Für Yahyas Arbeitgeber ist Spanien eine der Hauptanlaufstellen, die Arbeitslosenquote ist dort dreimal so hoch wie in Deutschland. Den Fahrern wird mehr als eine Arbeit angeboten: Sie bekommen Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung, nach einem Arzt – Hilfe bei der Integration. Yahya selbst nahm dieses Angebot vor zwei Jahren an. Er wohnt nun in Schweinfurt, einer kleinen Großstadt in der fränkischen Provinz.

Ganz ohne Spanien geht es nicht

„Je suis très en retard“, sagt er. Er ist spät dran, zu Deutsch. Seine Lieferung hätte längst in Bamberg ankommen sollen. Seit fünf Uhr ist Yahya wach. Seit 7:30 Uhr fährt er LKW. „In 0,3 Meilen rechts abbiegen“, sagt ihm das Navi auf seinem Arbeitshandy. „La vache!“, schimpft er. Donnerwetter. Rechts ist überhaupt keine Straße. Und wieso in Meilen? Er befestigt sein eigenes Handy an der Windschutzscheibe, das ist auf Spanisch eingestellt. „Tome la próxima vuelta en U“, ertönt es zugleich. „Bitte wenden.“ Das deutsche Navi bleibt auch an. Die beiden konkurrieren um Yahyas Aufmerksamkeit – das Ganze endet aber lediglich in einem unverständlichen Gemisch aus „Bitte“ und „Por Favor“.

Yahyas vielen Jahre in Spanien haben einige Spuren hinterlassen. Sein Französisch ist von einem starken spanischen Akzent geprägt. Das „R“ rollt ihm mit Leichtigkeit von der Zunge, aus dem „et“ – dem französischen Und – wird schnell ein „y“, wie in Spanien. Er spricht auch wie ein waschechter Südeuropäer: nämlich mit den Händen. Sein Deutsch beschränkt sich bislang auf „Abholung“, „Dankeschön“ und „Servus“. „Das Problem ist“, sagt Yahya: „Ich bin allein. Ich bin jeden Tag allein. Ich wohne allein, ich fahre Lkw allein. Mit wem soll ich denn Deutsch reden?"

Aus der Provinz ein Zuhause machen

Meistens arbeitet er zehn Stunden am Tag. Seine Bezahlung sei in Ordnung, sagt er. „Aber ich werde nicht reich.“ Er habe fast alles, was er brauche. Außer eine Familie. Yahya ist 51 – Kinder möchte er trotzdem noch haben. In nächster Zukunft bleibt das aber schwierig. Seine Verlobte wohnt in Marokko, er kann sie nicht nachholen, weil sie keine EU-Bürgerin ist. Dafür müssten die beiden erst heiraten. Coronabedingt hat Marokko aber vorerst die Grenzen zugemacht. „Die Entfernung ist schwer“, sagt Yahya. „Ich hoffe, dieses Jahr klappt es noch.“

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In Bamberg angekommen begrüßt ihn das Grau des Gewerbegebiets. Anderthalb Stunden fährt er von einem Parkplatz zum nächsten. Entladen, Beladen. Beladen, Entladen. Im Laufe des Tages springt er bestimmt 50 Mal die Treppe seines Wagens herunter.

Er zückt eine Wasserflasche und spült seine Hände ab: Sie sind dreckig, abgenutzt, das Zeugnis harter Arbeit. Dann geht’s weiter. Ein Cappuccino to go, ein Croissant auf der Fahrt. Für mehr bleibt erstmal keine Zeit.

Etre tranquillement. Ruhig sein, dafür ist Schweinfurt gut geeignet. So fernab von seiner Heimat, ohne Sprache, ohne Bekannte fühlt sich Yahya trotzdem angekommen. „Ich brauche kein spannendes Leben“, sagt er. „Ich möchte jeden Tag mein Haus verlassen, abends wiederkommen, eine heiße Dusche nehmen, etwas heißes essen – das ist alles, was man will.“

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