Wo selbst Jugendliche freiwillig lesen

Die Schiller-Bibliothek in Wedding lockt junge Menschen mit den größten Konkurrenten der Literatur: Videospiele und riesige Flachbildschirme. Damit hat sie offenbar viel Erfolg.

Im Regal im Eingangsbereich stehen braune Tüten mit unterschiedlichen Aufschriften: Thriller, Erklär’s dir, Queer. 170 sogenannte „Literatüten“ hat die Bibliothekarin Anne Schweitzer mit ihren Kollegen zu Beginn der Sommerferien gepackt. Sie sind eine Art literarisches Ü-Ei – die Besucher und Besucherinnen finden erst nach dem Ausleihen heraus, welche Bücher drinstecken. 

Genauso vielfältig wie die Überraschungstüten ist auch das Angebot der Schiller-Bibliothek in Wedding. Das Team probiert viele kreative Mittel aus, um junge Menschen für das Lesen zu begeistern. Denn laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest und dem SWR aus dem Jahr 2021 ist die Zahl der Jugendlichen, die Bücher lesen, so niedrig wie noch nie in den letzten zehn Jahren. „Trotzdem hat unsere Bibliothek jeden Tag zwischen fünf und zehn Neuanmeldungen, vor allem von Familien aus der Umgebung“, sagt Schweitzer mit Stolz. 

In Großstädten wie Berlin wird der Wohnraum für Familien zunehmend knapp. In Wedding ist das Problem besonders groß: Ein Drittel der Menschen, die in dem Bezirk wohnen, bekommen Transferleistungen wie die Grundsicherung. Viele haben kleine Wohnungen und nur einen PC für die ganze Familie. Viele Jugendliche weichen deshalb auf die Bibliothek als Lernort aus.

So ist die Schiller-Bibliothek nicht nur ein Ort, an dem Bücher ausgeliehen werden. Vor dem Makerspace stehen Jugendliche sogar oft Schlange. Wer sich einen günstigen Bibliotheksausweis ausstellen lässt, kann an kostenlosen Kreativworkshops teilnehmen und lernt Techniken wie Airbrush, Textildruck und 3D-Druck. Der Makerspace wird aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung und der Stadt Berlin kofinanziert. 

Dort entwerfen junge Menschen mit einer 3D-Software Barbiemöbel oder Ersatzteile für Kaffeemaschinen. Bei Fragen stehen Ihnen Mosaab und Vinh zur Verfügung. Die beiden Studenten arbeiten dort als Hilfskräfte: „Kinder sind Feuer und Flamme und viele wissen schon, wie sie den Drucker benutzen.“ An neuen Arbeitskräften mangelt es nicht. Pro Jahr würden fünf bis sechs Azubis als Fachangestellte für Medien-und Informationsdienste ausgebildet, erzählt Schweitzer. Darunter seien dieses Jahr auch drei Männer – was in der Branche bisher eher unüblich sei.

Sie müssen sich nicht nur mit Büchern auskennen, sondern auch mit Zocken. Unweit vom Makerspace gibt es nämlich einen Raum, der an ein futuristisches Wohnzimmer erinnert: riesige Flachbildschirme, Controller, Sonic-Chairs, in denen Musik gehört werden kann. Die Bibliothek bemüht sich um Diversität. Queere Romane wie „Nennt mich Nathan“ oder „Coming In“ stehen in den Regalen, aber auch LGBTQ-Comics. Eine der beliebtesten Abteilungen ist die Mangasammlung  – die größte der gesamten Hauptstadt.

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