Wie unsichtbar
Ohne Adresse gibt es keinen Arbeitsvertrag. Ohne Arbeit ist es schwer, ein Zuhause zu finden. Seit Andreas Jaukes seine Wohnung verloren hat, steckt er in einer Zwickmühle.
Für eine halbe Stunde am Tag kann sich Andreas Jaukes ausruhen. In einer sozialen Einrichtung im Zentrum von Berlin kann er dann einen Kaffee trinken und die Beine hochlegen. Der gebürtige Hamburger trägt eine schwarze Lederjacke, eine blaue Jogginghose und einen blonden Schnauzer. Seit einem halben Jahr lebe er auf der Straße, erzählt er. Die Nächte verbringe er unter Brücken, tagsüber sammle er Flaschen. Ein warmes Getränk pro Tag hier in der Einrichtung sei der einzige feste Termin, den er habe. Die anderen Männer, die mit ihm am Tisch sitzen, laden gerade ihre Handys oder nutzen das Internet, um einen Film zu schauen. Sie alle sind wohnungslos.
In der Sozialarbeit wird Wohnungslosigkeit in drei Kategorien eingeteilt: Es gibt Menschen, die in einer Unterkunft des Wohnungsnotsystems leben. Es gibt sogenannte verdeckt Wohnungslose, die vorübergehend bei Freunden oder Familie unterkommen. Und es gibt wohnungslose Menschen, die gar keine Unterkunft haben. Diese Menschen nennt man Obdachlose. Allein in Berlin waren 2024 nach Angaben des Senats etwa 6000 Personen ganz ohne Bleibe. Wohnungslos waren etwa 50.000 Menschen, Tendenz steigend.
Er bekomme zwar Bürgergeld, erzählt Andreas, und normalerweise bezahle das Jobcenter auch die Wohnkosten. Doch Andreas habe seine Wohnung verloren und finde einfach keine neue. Früher habe er als Verkäufer bei C&A gearbeitet, sogar eine Ausbildung als Einzelhandelsfachmann abgeschlossen. „Dann ging alles bergunter“, sagt er. Erst konnte er seine Schulden nicht mehr bezahlen, dann auch Miete die nicht. Er wurde obdachlos.
Obdachlose wie Andreas stecken oft in einer Zwickmühle: Um einen Arbeitsvertrag zu bekommen, brauchen sie eine Postadresse. Um eine Wohnung zu bekommen, brauchen sie Verdienstnachweise und andere gültige Dokumente, die viele Menschen, die auf der Straße leben, nicht haben. Andreas hat nicht das Gefühl, dass sich die deutschen Behörden darum bemühten, ihm aus dieser Zwickmühle heraus zu helfen. Auch Passanten auf der Straße nähme ihn meistens nicht wahr, sagt er. Er sei für sie „wie unsichtbar“.
Heute hat Andreas jedoch Glück. Ein Mann, der früher selbst obdachlos war und in der sozialen Einrichtung immer noch gern auf einen Kaffee vorbeikommt, unterhält sich mit ihm. Zum Abschied drückt er ihm einen Fünf-Euro-Schein in die Hand.