Weniger arbeiten – warum Zeit die kostbarste Währung ist

Weniger arbeiten – warum Zeit die kostbarste Währung ist

Julia Wojatzke arbeitet bewusst weniger, um mehr Zeit für sich und ihre Familie zu haben. Wie sieht ein Leben aus, in dem Wohlstand in Zeit und nicht Geld gemessen wird? 

Hoch oben auf dem roten Hügel hocken zwei Gestalten. Von der anderen Seite des Spielplatzes ruft ein Junge – etwa einen Meter groß – zu den beiden hinüber. „Maaaama, schau mal.“ Die Frau mit der dunkelroten Strickmütze hebt lachend die Hand. Ihr Blick schweift von dem pyramidenförmigen Klettergerüst, auf dem der Junge sitzt, dem sie eben zugewunken hatte, in den Himmel. Aus der blau-grauen Wolkendecke bahnen sich immer häufiger kleine Regentropfen den Weg auf den sandigen Boden des Kölner Rheinparks. 

Julia Wojatzke ist 37 Jahre alt, zweifache Mutter und Oberschullehrerin für Deutsch und Französisch in Brandenburg. Damit sie auch unter der Woche mit den Kindern auf dem Spielplatz spielen oder ihren Hobbys nachgehen kann, arbeiten Julia Wojatzke und ihr Partner in Teilzeit – und das eigentlich schon immer. „Es ist eine Lebensentscheidung“, betont sie.

Der Himmel zieht sich weiter zu. Julia Wojatzke vergräbt ihr Kinn in dem dunkelroten Schal. In regelmäßigen Abständen wandern ihre Augen über den Spielplatz und halten kurz inne, sobald ein kleines Mädchen in grasgrünen Regenhosen ihr Blickfeld durchkreuzt.

Jede zweite Frau in Deutschland arbeitet in Teilzeit. Besonders im Alter zwischen 25 und 55 zeichnet sich dahingehend ein Trend ab, zeigen Zahlen des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg. Die Gründe liegen oftmals in den familiären Verpflichtungen, die in patriarchalen Strukturen überwiegend den Müttern und Frauen zugeordnet werden. Männer dagegen geben an, nicht Vollzeit zu arbeiten, weil sie sich beruflich weiterbilden wollen oder keine andere Stelle finden. Der Anteil an Männern in Teilzeit ist zudem deutlich niedriger und beläuft sich auf nur 12,5 Prozent. 

Plitsch, platsch. In höherer Frequenz prasseln die Regentropfen inzwischen vom Himmel und perlen an Julia Wojatzkes schwarzer Regenjacke ab. Der Wind pfeift durch die Bäume und wirbelt Blätter vom Boden auf. „Ich will mich unterstellen“. Ein kleines Mädchen stupst ihre Mutter am Oberschenkel an und legt seinen Kopf in den Nacken.

Die Familie entwickelte ein ungewöhnliches Modell des Zusammenlebens. Statt in einem Einfamilienhaus als privaten Rückzugsort wohnen die vier in einer Wohngemeinschaft. Unter den 16 Bewohnern sind neben Julia Wojatzkes Kindern, Luca und Leo, auch vier weitere. „Wie eine riesige Großfamilie. Aber wir sind eben nur Freunde.“ Für Julia Wojatzke war es wichtig, dass ihre Kinder viele unterschiedliche Bezugspersonen haben, an die sie sich wenden können. „Das ist eine enorme Bereicherung.“

Mit buntem Laufrad und City-Roller steuert die Gruppe den asphaltierten Weg neben dem Spielplatz an. Kerzengerade führt die Straße am Rheinufer entlang. Nebeneinander lachend laufen sie zur nächsten Überdachung. 

„Es ist einfach eine Frage von Prioritäten, wie viel man arbeiten möchte“, stellte Julia Wojatzke fest. Sie brauche genügend monatlichen Lohn, um ihre Familie zu versorgen. Dafür reiche auch das Teilzeit-Gehalt aus: Materieller Verzicht ermögliche mehr Freizeit. Und das sei es ihr wert.

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