Was sollen wir sonst machen?

Unter einem Berliner Viadukt sammeln Natalia und Hanni Pfand. Das wenige Geld, das sie damit verdienen, hält in Rumänien ganze Familien am Leben.

Das Berliner Hochbahnviadukt bietet kaum Schutz vor Wind und Wetter. Regentropfen mischen sich unter Bohnen in Natalias gusseisernem Topf. Wasser kocht bereits auf einer tragbaren Herdplatte in ihrem alten, blauen Zelt. Darüber hinweg donnern Züge. An diesem Ort lebt die junge Frau (22) mit ihrer Tante Hanni (46). Heute gibt es Suppe. So, wie sie es aus Rumänien kennen – mit vielen Zwiebeln und Petersilie.

Vier Jahre ist es nun her, dass Hanni nach Deutschland kam. Sie wollte hier Arbeit finden. Doch stattdessen sammelt sie Flaschen und schläft unter dem Viadukt, eingerahmt von zwei Hauptstraßen. „In Rumänien gibt es nichts“, erklärt sie. Mit dem Pfand ließe sich wenigstens der Strom und das Essen ihrer erwachsenen Tochter bezahlen. Diese habe mit zwei kleinen Kindern vor den gewaltsamen Übergriffen ihres Ehemannes fliehen müssen und wohne nun bei Hannis Bruder. Auch Natalia muss für eine ganze Familie sorgen: Ihre Kinder sowie Mutter und Oma seien schließlich nach wie vor in der Heimat. Alle drei bis vier Monate pendelt sie mit einem Flixbus zwischen Rumänien und Berlin.

Das Leben hier sei hart und Flaschensammeln eine denkbar unsichere Einkommensquelle. „Wir wissen nie, wie viel ein Tag uns bringt“, sagt Hanni. „Heute 20 Euro, morgen zehn, übermorgen Regen, am Tag darauf nichts.“ Zudem sähen sie und Natalia sich in ständiger Konkurrenz mit zahlreichen Pfandflaschensammlern anderer Nationalitäten. Darunter seien auch viele Deutsche, die mit Kinderwagen, Tüten oder sogar Autos anrückten.

Inzwischen peitscht Hanni der kalte Wind Regentropfen ins Gesicht. Mit hochgezogenen Schultern verbirgt die hagere, kleine Frau ihre Hände in der Weste. Hanni friert, hat wegen des Verkehrslärms Hörschädigungen und außerdem Schwierigkeiten mit dem Herzen. Doch sie bleibt optimistisch. Immer wieder kehrt sie zu ihrem Zelt unter dem Viadukt zurück. „Wo sollen wir hin? Was sollen wir sonst machen?“

Ab und an würden ihnen Mitarbeitende der Caritas warme Mahlzeiten und Tee vorbeibringen, erzählt Natalia. Das freue sie, doch eine viel effektivere Hilfe wäre Arbeit. Sie bitten um bares Geld für ihre Familien in Rumänien. Passanten hätten Scheine und Münzen aber immer seltener mit sich und machten zunehmend größere Bögen um Bedürftige.

Einmal pro Woche gehen die beiden am Alexanderplatz duschen. Das koste allerdings Geld. „So viel, wie drei Stunden Flaschen sammeln“, sagt Natalia. „Oder mehr!“, korrigiert Hanni und lacht. Für alles Weitere müssen sie Fünf-Liter-Wasserflaschen in einem Späti um die Ecke kaufen.

Ist es nicht gefährlich, als Frau auf der Straße zu schlafen? Sorgen sich die beiden nicht manchmal, wenn sie so schutzlos in ihren Zelten liegen? Hanni antwortet erneut mit einem herzlichen Lachen. „Ich habe keine Angst.“

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