Wanderschuhe statt Sofaruhe

Das Wandern ist nicht nur des Müllers Lust sondern auch das neue Hobby von Eric Köster. Seit Corona schnürt er regelmäßig die Wanderstiefel. Was ihn von anderen unterscheidet: Köster trainiert für ein besonderes Ziel.

Eric Köster laufen die Schweißperlen vom hochroten Gesicht. Laut atmend tippt er mit schnellen Fingerbewegungen auf die Wanderkarte seines Handys. „Normal müsste hier doch eigentlich das nächste Schild sein“, nuschelt der 21-jährige Maschinenbaustudent mit tiefer Stimme in seinen Bart.

Der sattgrüne Wald um ihn herum ist still. Die hohen Buchen und kargen Fichten spüren nichts von der Aufregung am Waldboden. Köster hat sich verlaufen. Eigentlich sollte die Wanderung in Winterberg-Züschen fehlerfrei gemeistert werden. Sein ursprünglicher Plan: die 27 sorgfältig geplanten Kilometer in Bestzeit zurückzulegen. Samt gewissenhaft zusammengestellter Wanderausrüstung versteht sich. Um 15:30 Uhr, 18 Kilometer später, kann der Wanderneuling daran nicht mehr festhalten. Erst seit Corona wandert er, mit zunehmender Fitness wuchs auch die Streckenlänge.

Die Vorbereitung zählt

Der 21-Jährige hat sein Ziel klar vor Augen. Bald soll es für ihn noch höher hinaus gehen als im Sauerland. Vom 19. bis zum 24. August plant er die Begehung des Wiener Höhenwegs, einem hochalpinen Wanderweg im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es dort ist, ich war noch nie in solchen Alpenregionen“, sagt Köster. Deshalb ist eine harte Vorbereitung nötig. „Ich möchte nicht, dass die Tour scheitert, weil mir die Puste ausgeht oder ich zu viele Schmerzen habe“, erzählt Köster, während er weiter nach dem richtigen Weg sucht. 

Seit Corona trieb ihn die Langeweile aus dem Haus: „Ich hatte an den Wochenenden plötzlich viel mehr Zeit.” Partys gab es nicht mehr und die meisten Freunde waren nur noch selten erreichbar. Um nicht auf dem Sofa zu versauern, stürzte sich der 21-Jährige in die Natur. “Das Wandern wollte ich sowieso schon immer mal probieren”, erzählt Köster.

Auf das Equipment kommt es an

Bis auf das Laubgeraschel einer davon hüpfenden Amsel ist weit und breit nichts zu hören. Es riecht nach Schweiß, aufgewühltem Waldboden und vermoderndem Unterholz. Während die Farbe seines Gesichtes langsam wieder von rot zu weiß wechselt, fängt Köster an zu grinsen. Mit ausgestrecktem Arm deutet er auf eine nahe gelegene Fichte. Das Wanderschild darauf zeigt eine Rune. „Hier geht es weiter, das ist der Weg“, meint der Sauerländer sichtlich erleichtert. Er schwingt seinen vollgepackten Rucksack auf den Rücken und marschiert in Richtung Schild.

Das Equipment: Gute Ausstattung ist die halbe Miete.

Probelauf für die Alpen

Die Tour in Züschen: sein ultimativer Härtetest, nagelneuer Ausrüstung inklusive. „Ich möchte schauen, wie groß die Belastung ist und ob mein Equipment auch in der freien Natur standhält“, erklärt Köster, noch bevor er zur Wanderung aufbricht. Der große, schwarze Rucksack ist gefüllt mit Socken, Schlafsack, Handtuch, Kissen, Mütze – und mit einem Kletterset. Das brauche er in Züschen zwar nicht, es sei ihm aber trotzdem wichtig, das Gewicht zu testen. Um der Belastung standzuhalten, trainiert er seit drei Monaten regelmäßig. Einmal in der Woche schnürt er die Wanderschuhe, dreimal in der Woche trainiert er im Fitnessstudio.

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Inzwischen ist er auf dem höchsten Punkt der Wanderung angelangt. 817 Meter über Normal Null verheißt die Infotafel. Das Training der letzten Wochen scheint sich bezahlt zu machen. Die Schultern stehen aufrecht, die Knie sind gestreckt. Köster blickt zufrieden lächelnd ins Tal.

Schnitzel statt Kaiserschmarrn

Bei einer Banane erklärt er, was ihn motiviert, überhaupt für die Alpentour zu trainieren: „Wenn man die Berge im Sauerland sein Leben lang kennt, ist das natürlich noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Als ich in der Vergangenheit auf der Durchreise mit dem Auto in die hohen Bergregionen gefahren bin, war schon immer der Anreiz da, die vielleicht auch irgendwann einmal selbst zu erklimmen. Auf dem Gipfel zu stehen und diese Erinnerungen nie mehr zu vergessen und auch zu wissen, worauf man hingearbeitet hat, motiviert mich besonders.“

Ein paar Kilometer weiter bricht der letzte Teil der Route an. Köster geht weiterhin mit strammen Schritten voraus. Auch die Wegbeschreibung bringt ihm derweil kein Kopfzerbrechen mehr. An seinen angespannten Wangen lässt sich dann doch noch ein kurzer Moment des Haderns erkennen: Die Füße schmerzen und auch die Oberschenkel brennen. „Für Österreich brauche ich auf jeden Fall noch Einlagen“, meint der Sauerländer. „Ansonsten hat meine Ausrüstung besser gehalten als gedacht. Auch sportlich sollte das auf jeden Fall reichen“, resümiert er kurz vor Streckenende.

Streckendetails

Am Ziel angekommen ist die Belohnung verdient. In der nahegelegenen Gaststätte bestellt er Schnitzel mit Pommes. Auf Kaiserschmarrn mit Almdudler muss Köster noch einen halben Monat warten. Was im Sauerland fehlt ist die Gipfelkulisse, ein uralter Almöhi und eine Wirtin, die so dialektisch spricht, dass man sie kaum versteht. Eines wird in den Hohen Tauern Österreichs jedoch gleich sein: den Geruch von harter Arbeit können weder zarte Sommerblumen noch leckere Schnitzel übertünchen…