Sonnenernte in Oberursel
Ernte auf zwei Ebenen – unten Getreide oben Sonne. Das ist die Idee von Ingenieur Helmut Ernst. Durch Agri-Photovoltaik will er die Stadt klimafreundlich mit Strom versorgen. Das aber sorgt für kontroverse Diskussionen in Oberursel. Denn Landwirte sorgen sich um ihre nährreichen Ackerböden und bürokratische Hürden.
Im Keller des Hauses von Helmut Ernst stapeln sich unter der niedrigen Decke die verschiedensten Werkzeuge auf Bastlertischen. An der gegenüberliegenden Wand hängt das Herz seines Hauses: Die Geräte für die Photovoltaik-Anlage (PV) auf dem Dach. Der 82-jährige Helmut Ernst ist ganz fasziniert, als er über Sicherung, Tesla-Speicher und Analysator spricht. Auf grün blinkender Anzeige zeigt der Analysator an, 632 kWh Strom hat Helmut Ernst im laufenden Jahr schon erzeugt. Im selben Zeitraum hat er 348 kWh verbraucht. Aufs Jahr gesehen generiert die Anlage 5600 kWh. Für Ernst ist diese Technik der Weg raus aus der Klimakrise.
Ein Diesel-Traktor fährt über den Hof von Landwirt Michael Klein in Oberursel. Das Schmatzen der Schweine ist trotz des Traktors zu hören und eine gefleckte Katze streunert über das Gelände. Entlang der Wege traben Pferde, die Straßen sind mit Pferdeäpfeln übersät. Auf den großen Hofdächern fehlen Photovoltaik-Anlagen. Das vorhandene Stromnetz zum Bauernhof sei nicht geeignet, um den produzierten Strom verkaufen zu können, meint Klein. Denn über den Eigenbedarf hinaus gehender Strom kann nicht ins Stromnetz abfließen.
“Wir haben ein nationales Problem zu lösen”, sagt Ingenieur Ernst. “Wir haben nicht die Infrastruktur”, sagt Bauer Klein. „Wir müssen erstmal abwarten“, sagt der erste Stadtrat. Die Energiewende ist so kompliziert wie das Wetter selbst. Auch in einem knapp 50.000-Eiwohnerstädtchen wie Oberursel.
„Wir sind doch für unsere Nachkommen verantwortlich„
Bei Ingenieur Helmut Ernst sind 40 Quadratmeter der Dächer mit Modulen für Photovoltaik ausgestattet. Die Anlage hat der Ingenieur vor sieben Jahren auf Dach sowie Garage installiert und später mit einer Batterie nachgerüstet. Diese speichert die über den Tag generierte Energie für sonnenarme Stunden. 75 Prozent seines Energieverbrauchs im Jahr decke die Anlage ab. Auch wenn die langfristige Speicherung hinein in den Winter ihm noch Probleme bereite, freue er sich über seinen Beitrag zur Klima-Entlastung. „Ich habe Enkel und Kinder. Wir sind doch für unsere Nachkommen verantwortlich“, sagt er.
Zusammen mit der „Lokalen Oberurseler Klimainitiative“ hilft Helmut Ernst bei der Umsetzung von Photovoltaik-Projekten im Ort. Erst vor einer Woche haben sie zusammen mit der Stadt Oberursel auf dem Dach der Kindertagesstätte „Zauberwald“ eine Photovoltaik-Anlage installiert.
„Wir haben zwar einige, aber definitiv zu wenige“, so der erste Stadtrat Christoph Fink zu den lokalen PV-Projekten. Deshalb bringt er gerade ein Förderprogramm für Photovoltaik-Anlagen bei Privatpersonen auf den Weg.
PV-Anlagen allein reichen nicht aus
Um mit erneuerbarer Energie die Klimakrise bewältigen zu können, reichten jedoch die Dachflächen allein nicht aus, meint Ingenieur Helmut Ernst. Es benötige weitaus mehr: Ausbauen der Windenergie und Anwenden von Agri-Photovoltaik.
Beim Spaziergang zwischen den Feldern hinter dem Haus bleibt der 82-Jährige immer wieder stehen und erzählt: „Hier müssen Agri-PV-Anlagen gebaut werden, um den Klimawandel noch aufhalten zu können“. Die Solarmodule der PV-Anlagen sechs Meter über der Ackerfläche oder als vertikal aufgestellte Module – so stellt er sich die Ackerflächen der Zukunft vor.
Da, wo Helmut Ernst Agri-PV Anlagen sieht, fährt Landwirt Michael Klein mit dem Traktor übers Feld. „Photovoltaik-Anlagen auf wertvoller Ackerfläche? Ich weiß nicht, wie man das verantworten kann“, schimpft er und schaltet den Motor aus. Ganz ausschließen möchte er Agri-Photovoltaik jedoch nicht. Auf reinen Beweidungsflächen und bei Nachtschattengewächsen wie Tomaten sehe er eine Möglichkeit, Landwirtschaft und Energiegewinnung zu verbinden. Bei klassischem Ackeranbau wie Kartoffeln und Getreide fragt sich Klein, „wie soll das funktionieren?“. Die ganzen Stützen, Module und Pfähle erschwerten seine Arbeit ungemein. Die Arbeitsgeräte und Traktoren würden zudem immer größer werden, klagt der Landwirt und sieht keine Chance, „wie Maschinen zwischen oder unter Photovoltaik-Anlagen rumfahren sollen“.
Schnelle Umsetzung im Lokalen
Ingenieur Ernst hat berechnet, wie der Hochtaunuskreis mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Dafür brauche es nur 34 Prozente der Ackerflächen, plus Windkraft und Dach-PV sowie Wasserstoffspeicher. Dezentrale Energieversorgung ist für Ernst der entscheidende Punkt: Als schneller realisierbar und unabhängiger beschreibt er die Vorteile, wenn jeder Landkreis in Deutschland selbst ausreichend Energie generiere.
Für Oberursel fordert er ein lokales Pilotprojekt von Agri-Photovoltaik mit Zuschüssen vom Bund und Land. „Da müsse halt mehr gemacht und gefördert werden“, kommentiert er die noch teuren Preise für Agri-Photovoltaik Anlagen. Die Stadt Oberursel ist nach eigenen Angaben offen für ein solches Projekt. Der Klimaschutzbeauftragter der Stadt Georg Hiltl sagt: „Agri-PV wird einen sinnvollen und wesentlichen Teil der Energiewende darstellen.“ Insbesondere den Aspekt der doppelten Flächennutzung schätzt er als attraktiv ein. Jedoch müsse erst einmal die neue Gesetzgebung zu Agri-PV, die vom Vizekanzler Robert Habeck in Aussicht gestellt wurde, abgewartet und die Landwirte von einem solchen Projekt überzeugt werden.
Ein Feld ist nicht immer eins
Das Gesetz ist das eine, die Realität etwas anderes. Die Felder erstrecken sich bis zum Horizont. Was so harmonisch als Eins scheint, ist im Grundbuch aufgeteilt in verschiedene Besitzer. Selten haben Landwirte solch große Flächen, auf denen sich eine Vermischung von Ackeranbau und Energiegewinnung rentieren könnte. Landwirt Klein pachtet selbst die Ackerflächen nur und wirft die Frage auf, wer denn von den Energiegewinnen profitieren würde – Pächter oder Eigentümer? Helmut Ernst schlägt hier eine Neuanordnung der Felder vor. Da müsse die Politik einfach mehr Initiative ergreifen und schneller bürokratische Hürden beseitigen, wie auch das Aussetzen der EU Agrar-Subventionen bei Agri-PV Anlagen.
Die Hofgemeinschaft Heggelbach im Süden Baden-Württembergs hat vorgemacht, was Helmut Ernst in Oberursel erreichen möchte. Ein Pilotprojekt für Agri-Photovoltaik, das zeigt, dass Ackerernte und Sonnenernte funktionieren kann. Im Jahr wird hier auf 2500 Quadratmetern Strom erzeugt, der im benachbarten Kreis 62 Haushalte versorgen kann.
Vor dem Haus holt Helmut Ernst sein Handy aus der Hosentasche, öffnet die Solar-App und prüft die Energiebilanz: „Erst vor vier Tagen hat meine Anlage 25,5 kWh Sonnenenergie generiert“, erzählt er stolz. Heute aber nur 3,89 kWh, 3,83 kWh muss er für seinen Verbrauch noch bei den Stadtwerken dazukaufen. Kein Wunder bei 6 Grad Celsius, Regen und Wolken – keine gute Ernte für Helmut Ernst an diesem Tag.
Titelbild: Hofgemeinschaft Heggelbach