Second Hand im Trend?
Second-Hand-Läden wie der von Lilly Anders werden immer beliebter – und stehen vor immer größeren Herausforderungen.
Beim Betreten des Ladens ertönt eine kleine Ladenklingel. Ein Piano steht im Raum. Darauf sind zwei pinke Porzellan-Flamingos drapiert. Sie sind umzingelt von allerlei Accessoires: große und kleine Taschen aus Leder und Bast, Glockenhüte, Sonnenhüte, ein Puppenkopf mit einem schwarzen Fedora-Hut. Ein kleiner klimpernder Kronleuchter hängt mittig in dem Raum. Er lenkt das Licht auf all die verschiedenen Kleidungsstücke, die auf schwarzgoldenen Kleiderstangen den Laden füllen.
Seit 13 Jahren gibt es den Second-Hand-Laden „Fräulein Anders“ hier im Nollendorfkiez schon. Lilly Anders ist nicht nur Namensgeberin, sondern auch Gründerin. Er sei „aus einer Liebe zu alten Kleidern entsprungen“, erzählt die 54-Jährige. Sie ist mit ihrem Laden nicht die Einzige: Allein in Berlin gibt es mindestens 200 Second-Hand-Kleidungsgeschäfte. Nach einer Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „PwC“ aus dem Jahr 2023 haben 56 Prozent der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher schonmal Second Hand gekauft. Davon greift jedoch mehr als die Hälfte auf Online-Händler zurück – statt in den Laden vor Ort zu gehen.
Auch Lilly Anders spürt diese Herausforderung. Das abnehmende Bewusstsein für Local Shopping werde zunehmend zum Problem – vor allem, weil Second-Hand-Läden wie der von Anders nicht einfach einen eigenen Online-Shop eröffnen könnten. Denn Anders erklärt: Jedes Stück sei einzigartig, die Retoure-Option für kleine Geschäfte wie ihres der „Genickbruch“. Während sich der Second-Hand-Trend also online immer weiter ausbreitet, müssten lokale Läden oft mit Gewinneinbußen rechnen. „Gerade in diesem Jahr war ein extremer Einbruch“, sagt Anders.
Jetzt hockt Lilly Anders gebückt in ihrem Geschäft, neben einem weinroten Sofa bei den Umkleiden. Sie trägt ein hellblaues Kleid, kurze, rote Haare mit Pony. Im Laden läuft Musik aus den 40er- bis 60er-Jahren. Swing. Aus den Schaufenstern blicken zwei Schaufensterpuppen: Die eine hat einen Ziegenbockkopf und trägt ein rotes, mittellanges Blümchenkleid. Die andere hat einen hasenähnlichen Kopf und ein blaues Minikleid. Sie verkörpern Individualität – so wie es sich Anders auch von ihren Kunden wünscht.
„Wenn man bewusst Second Hand kauft, kann der eigene Stil viel umfassender sein“, sagt Anders. Aber wenn nur den neuesten Trends aus Bekleidungsketten nachgejagt werde, bleibe genau diese Individualität oft komplett auf der Strecke. Ihre Kundschaft bestehe vor allem aus Frauen zwischen 25 und 97 Jahren. Einerseits beobachtet Anders, dass gerade der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit die Menschen in die Second-Hand-Läden treibt. Andererseits stellt sie fest: Bei vielen jungen Menschen „hört das Thema Nachhaltigkeit beim neuesten Trend auf“.
Abgesehen von der Swing-Musik ist es in Anders’ Laden heute ziemlich ruhig. Der Wusel von der Großstadt Berlin findet hier einen Moment Pause, gerade ist kein Kunde im Laden. Doch Anders ist die Hoffnung anzumerken, dass bald wieder mehr Leute den Weg zu ihr finden. Schließlich könnten Kundinnen hier ganz besondere Einzelstücke finden. Im Gegensatz zu anderen Second-Hand-Shops nehme sie keine kiloweise Kleidung von Fast-Fashion-Marken an, sondern achte auf Hochwertigkeit und Historie. „Es ist schon Wahnsinn, dass es Kleider gibt, die schon 70 Jahre überlebt haben und immer noch tragbar sind“, sagt sie. Anders glaubt an dieses Geschäftsmodell. Sie sagt: „Ich halte eisern durch!“