Schweigen brechen, Glauben retten 

Auf einem bunten Straßenfest klärt Caroline Harnack über sexualisierte Gewalt in der Kirche auf. Als katholische Theologin und Mutter bedeutet ihr die Institution viel – zugleich blickt sie kritisch darauf. Wie kann sie das miteinander vereinbaren?  

Die Sülzer Morgensonne strahlt. Besucher trudeln langsam auf dem Frühlingsfest ein, lassen ihre Blicke neugierig schweifen. Bei einem kleinen schwarzen Tisch ist ein weißes Banner: Aufarbeitung statt Vertuschung! Dahinter greift Caroline Harnack nach den Informationsblättern. Sie ist eine junge Frau, trägt blaue Jeans und Sneakers. Vor ihr sind weiße Sportsocken, nachtblaue Mützen, Stifte, Broschüren und Spendenboxen ausgebreitet. „Wollen Sie einen Flyer mitnehmen?“, fragt sie mit einem breiten Lächeln. Caroline hat das Interesse einer Mutter mit Kinderwagen geweckt, die die Broschüre annimmt. Der Verein „Umsteuern!“, erzählt sie der Passantin, arbeite sexuellen Missbrauch in der Kirche auf. 

Caroline Harnack arbeitet seit September 2022 für den spendenfinanzierten Verein „Umsteuern! Robin Sisterhood e.V.“. Studiert hat sie zunächst Grundschullehramt und katholische Theologie, wobei sie schlussendlich Theologin wurde. Sich selbst bezeichnet sie als „sehr katholisch sozialisiert“. Lange war sie Messdienerin, bis auf Bischofsebene. Mittlerweile sieht die Vereinsreferentin die Kirche aus kritischer Sicht, vor allem durch ihr Studium und aufgrund der Missbrauchsskandale. „Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch gleich ein Kind Gottes ist, dem deshalb Rechte zustehen.“, erzählt sie. Als Mutter zweier kleiner Töchter kann sie noch besser erahnen, was Missbrauch für Kinderseelen bedeutet: Ihre Mundwinkel fallen, das Lächeln verschwindet.  

„Du darfst drehen! Dafür ist es da!“, sagt Caroline jetzt. Sie streicht sich die Haare, oben zu einem kleinen Zopf gebunden, zurück. Die Kinder der vielen Familien, die stehen bleiben, inspizieren das pink-blau verzierte Glücksrad an Carolines Stand. Das Rattern des Rads mischt sich unter die Musik des DJs am Straßenende. Die Mienen der Eltern werden ernster beim Blick auf das Banner mit dem Aufruf Stoppt sexualisierte Gewalt!Andere Passanten drehen flüchtig den Kopf in Richtung Foodtruck. Die Kinder an Carolines Stand jedenfalls drehen begeistert das Glücksrad. „Hellblau?“, jubelt Caroline und reicht der jungen Besucherin einen Bleistift. Es formt sich eine Schlange. Ob man wohl ein zweites Mal drehen dürfe? Leider nein. „Aber morgen sind andere Menschen hinterm Stand!“, witzelt die 35-jährige Kölnerin. 

„Och, das ist einfach schön.“, lächelt Caroline nach dem Ansturm. Familien am Stand zu empfangen, den Verein in die Welt zu tragen und Betroffene sprachfähig zu machen, all das liege ihr am Herzen – „auch wenn es kein leichtes Thema ist.“ Umso schwieriger: Opfern wird wenig Glauben geschenkt. Ihre Brüder waren auf einem Kolleg in Bonn, an dem in den 70er Jahren Missbrauchsfälle auftraten. Laut den Eltern – alles Übertreibung! „Ich hadere mit der Institution, gleichzeitig ist der christliche Glaube etwas, das meine Identität prägt“, sagt Caroline. Wie es weitergeht, weiß sie noch nicht. „Vielleicht“, erzählt sie, „komme ich an einen Punkt, wo ich sage, da trete ich aus.“

„Sie sind ein Glücksbringer!“, ruft ein Passant, der mit seinen zwei Enkeln vorbeischaut. Hinter ihrer Brille leuchten Carolines Augen auf, sie lächelt: „Ich wünsche mir Orte, wo ich mich einbringen kann für das, was ich als gute Sache empfinde.“ Es ist ihre Hoffnung, so die christliche Botschaft zu übersetzen. Auch der Verein „Umsteuern! e.V.“ bietet ihr diese Möglichkeit. Mit dem Andrang heute ist sie zufrieden. Obwohl es Kraft koste, sei die Arbeit erfüllend, reflektiert Caroline. Dann sagt sie: „Man hat das Gefühl, man hat was Gutes gemacht.“ 

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