„Schon als Kind haben sich in meinem Umfeld alle ehrenamtlich beteiligt“
Reinhard arbeitet von Beginn an in der Willkommenshalle am Berliner Hauptbahnhof. Für ihn ist ehrenamtliches Engagement eine Selbstverständlichkeit.
Auf den Bänken sitzen Frauen mit Kindern, ältere Damen, Teenager. Neben ihnen stehen Koffer, sodass man für einen kurzen Moment denkt, man sei in einer gewöhnlichen Wartehalle, in der Fahrgäste auf ihren Zug warten. Doch dann huschen Menschen in orangen oder blauen Warnwesten vorbei, bringen ihnen Wasserflaschen und beantworten ihre Fragen auf Englisch, Ukrainisch und Russisch. Denn dieses 600 Quadratmeter große Zelt vor dem Berliner Hauptbahnhof ist die Willkommenshalle für Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Krieg geflohen sind.
Neben diesem Zelt sitzt Reinhard in einem Container am Computer, macht Dienstpläne und verteilt Aufgaben. Der Mann mit dem braunen Haar und der auffälligen roten Brille arbeitet seit Beginn des Ukrainekrieges in der Willkommenshalle. Zuerst packte er als ehrenamtlicher Helfer überall mit an, wo er gebraucht wurde. Inzwischen koordiniert er die anderen Freiwilligen und bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung von der Berliner Stadtmission. Früher war er Unternehmer und hatte eine Kommunikationsagentur, momentan kann er davon aber nicht leben.
Zu Beginn des Krieges hat er jeden Tag zehn bis zwölf Stunden mitgeholfen. „Wir waren alle überfordert“ sagt er. Damals seien an manchen Tagen zwischen 6.000 und 10.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin angekommen. Es war Reinhard wichtig, nicht hilflos vor dem Fernseher zu sitzen, sondern helfen zu können. Gleichzeitig hat er oft ein schlechtes Gewissen gehabt: „Man hat immer das Gefühl, jemanden zurückzulassen”, sagt er. Denn gerade zu Beginn war es nicht möglich, allen zuzuhören und weiterzuhelfen. Während seiner Arbeit erlebt er oft emotional belastende Situationen. Am Anfang führte es bei ihm oft zu Wut auf Menschen, die nicht aktiv mithelfen. Dann hat er gelernt, Abstand zu seiner Arbeit zu gewinnen und das Erlebte mit seiner Frau zu besprechen.
Für Reinhard, 1960 geboren, ist gesellschaftliches Engagement selbstverständlich, denn „der Staat muss nicht alles erledigen und er wird es auch in Zukunft nicht können“. Für ihn ist klar, dass er, sobald er es sich leisten kann, weiterhin ehrenamtlich, ohne Aufwandsentschädigung, mitarbeiten will.