Mutiger mit jedem Pinselstrich

Im Atelier der Lebenshilfe Köln liegen Pinsel, Farbtuben und leuchtende Fäden bereit. Unter dem Motto „Malen Sie sich stark“ entdecken Menschen mit Behinderung ihre innere Kraft – und bringen sie auf Leinwand und Stoff. Wie sieht so ein Treffen aus?   

Die Frauen rücken die Stühle zurecht, das Papier liegt ausgebreitet, noch fast unberührt. Sonnenlicht flutet durch die breiten Fenster und tanzt auf den Tischen. Sie sind vollgestellt mit Klebebändern, Fadenknäueln und Töpfen voller Farbe. Daneben stehen Schalen mit Trauben und Keksen bereit. Stimmen mischen sich zu einem aufgeregten Summen, während Marion Hauber zwischen den Tischen entlangschreitet.  

“Stark ist, wer nach einem langen Spaziergang den Kopf hebt und sagt: ‘Das habe ich gut gemacht’“, sagt Marion, „stark ist, wer spürt: ‚Ich kann das!‘“ Und manchmal gebe es sogar Farben, die stark machen. „Welche ist es bei euch?“, fragt sie in die Runde. Die Stimmen werden leiser, dann ruft eine Frau: „Rosa! Ich will meine Fantasie in Rosa machen!“ Ohne auch nur aufzusehen, zieht sie mit dem Pinsel kreisende Bewegungen auf dem Papier.  

Die Aktion Malen Sie sich stark ist ein kreatives Angebot für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Es soll ihnen ermöglichen, durch das Malen in verschiedenen Farben ihre Gefühle auszudrücken und ihre Selbstwahrnehmung zu stärken. Die Lebenshilfe Köln organisiert und veranstaltet diese Kreativ-Treffen der besonderen Art.

An einem Tisch im Atelier befindet sich ein schmaler Streifen Klebeband zum Abrollen. Eine junge Frau, die ihre Brille immer wieder zurechtrückt, klebt bunte Streifen nebeneinander. Konzentriert, so als wäre jeder Klebestreifen ein kleiner Schritt in Richtung Mut. Andere Teilnehmerinnen malen lieber. Kursleiterin Marion bleibt stehen und schaut den Teilnehmerinnen über die Schulter. Sie lächelt in die Runde und ermuntert die Frauen, die Farbe direkt mit den Fingern aufzutragen. Zögerlich taucht eine Hand in die Farbschale, hinterlässt einen breiten, roten Abdruck auf dem Papier.

„Viele Menschen haben Probleme damit, Gefühle in Worte zu fassen“ sagt Marion, „aber wenn ich ein Gefühl male, brauche ich keine Worte. Ich kann es einfach fließen lassen.” Ihre Stimme ist ruhig, fast wie ein Rhythmus, der durch den Raum geht. So stark wie heute war Marion aber nicht immer. Zum einen kämpfte sie mit eigenen psychischen Belastungen wie Depressionen und Burnout, die sie an ihre Grenzen führten. Zum anderen trug sie die Verantwortung für ihre Familie, dessen besondere Bedürfnisse zusätzliche Anforderungen an sie stellten.  Sie nimmt einen tiefen Atemzug. „Früher habe ich in einem Büro gearbeitet, fünf Kinder versorgt, einen Hund und einen Haushalt“, sagt sie, „ich wollte eine gute Mitarbeiterin, Mutter und Frau sein. Dabei habe ich nicht gemerkt, dass ich selbst verloren gegangen war.“ Marion erkannte die Bedeutung von Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge. 

Heute ist sie Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin. Kunsttherapie hat sie nicht gelernt, weil es ihr um das perfekte Bild ging, sondern immer um das Spüren, um das Verständnis und die Akzeptanz der eigenen Gefühle. Und Heilpraktikerin wurde sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung: Ihr Sohn ist lernbehindert und hat immer viel Therapie und Unterstützung gebraucht. Ihre persönliche Geschichte motiviert sie, anderen Menschen Mut zu machen und neue Wege zu gehen. „Ich sehe, was man erreichen kann, wenn ich Menschen ein bisschen Mut gebe, in den Kleister da zu fassen“, sagt sie.

Die Nachmittagssonne flutet durch die hohen Fenster und taucht den Raum in warmes Licht. Draußen zieht der Wind über die Dächer, drinnen bleiben bunte Handabdrücke und kleine Kunstwerke zurück. Langsam legen die Frauen ihre Pinsel beiseite, Hände und Tische sind farbenfroh bekleckert, auf den Gesichtern liegt ein zufriedenes Lächeln. Marion sammelt die Blätter ein, glättet sie mit sanften Bewegungen. „Es geht nicht darum, perfekt zu sein“, sagt sie. „es geht darum, sich zu trauen.“

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