MANIPULIERT
Chinas Propaganda in Tschechien
Wie ein Team von Tschech*innen alles daran setzt, Fake News zu enthüllen und die Öffentlichkeit aufzuklären.
Die Intensität ihrer Worte und der Ernst in ihren Augen verraten, dass dies mehr als nur ein Gespräch über Arbeit ist. Es ist eine Leidenschaft, ein Lebenszweck. Dr. Ivana Karásková, ist die Gründerin von MapInfluenCE, eines der erfolgreichsten Think Tanks in Tschechien. Ein Fulbright-Stipendium, jahrelange Aufenthalte in China und eine Professur in Internationalen Beziehungen haben die gelassene, aber motivierte Frau zu dem gemacht, was sie heute ist – Tschechiens China-Kennerin. Sie hat braune Haare, eine Brille und ein strahlendes Lächeln, das von ihrer Offenheit zeugt. „Es ist nicht einfach“, sagt Ivana, während sie an ihrem Kaffee nippt, „in einer Ära der Information die Wahrheit von der Fiktion zu trennen.“
MapInfluenCE, so erklärt sie, entstand aus einer Notwendigkeit heraus. „Wir haben beobachtet, wie subtile Ströme der Manipulation durch unsere Medien flossen – und kaum jemand schien es zu bemerken.“ Die Erkenntnis, dass Radiosender in Tschechien, einem Land mit einer stolzen Geschichte des Kampfes für Freiheit und Unabhängigkeit, unter chinesischem Einfluss standen, war ein Weckruf für sie.
„Stell dir vor“, beginnt sie, „der chinesische Staatssender koproduziert heimlich eine täglich ausgestrahlte Sendung in einem der EU-Mitgliedstaaten. Dreieinhalb Jahre lang wurde die Sendung, in der China gelobt wird, ausgestrahlt, ohne dass jemand etwas davon mitbekam oder darauf reagierte.“ Es war genau diese Entdeckung, die Ivana und ihr Team bei MapInfluenCE ans Tageslicht brachten. Zwei kommerzielle Radiosender hatten über drei Jahre heimlich Propaganda in Zusammenarbeit mit China Radio International (CRI) ausgestrahlt. Eine Tarnung, die die tschechische Bevölkerung jahrelang in die Irre geführt hat. Sie wirkt empört. Hinter dem modernen Namen MapInfluenCE verbergen sich Jahre akribischer Recherche, eine unermüdliche Jagd nach Wahrheit in einer Welt der Halbwahrheiten.
Doch es war nicht nur die direkte Einflussnahme, die sie beunruhigte. „Es geht tiefer“, sagt sie. „Es ist die Art und Weise, wie China es schafft, Diskurse zu formen, Meinungen zu prägen und – was am beunruhigendsten ist – die Geschichte umzuschreiben.“ Ivana skizziert ein Netzwerk aus Narrativen über Taiwan, Xinjiang oder Tibet, das aktiv über diese Radiosender verbreitet wurde. Das Ziel war, die tschechische Öffentlichkeit mit diesen Orten vertraut zu machen, aber eben nicht mit den Menschenrechtsverbrechen, die an diesen Orten begangen werden. Ob es die Verfolgung der Uiguren in Xinjiang, die harte Annektierung Tibets oder die angedrohten militärischen Manöver gegenüber Taiwan betrifft, die chinesische Regierung versucht, genau diese brisanten Themen hinter reizvollen Erzählungen von Wanderungen auf taiwanesischen Bergen oder touristischen Ausflügen in Tibet zu verbergen.
„Die Digitalisierung“, erklärt Ivana, „hat das Spielfeld verändert.“ Sie spricht von der „Twiplomacy“, der neuen Diplomatie, die sich auf den Bildschirmen von Twitter abspielt. Die Länder der Visegrád-Gruppe, oft auch als Visegrád-Vier bezeichnet – Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei –, stünden dabei im Zentrum einer beispiellosen digitalen Offensive. „Es sind nicht nur Tweets. Es sind sorgfältig kuratierte Botschaften, die auf eine bestimmte Erzählung abzielen.“ Die Präzision und Koordination, mit der diese Botschaften ausgestrahlt werden, zeuge von einem viel größeren Plan.
Genau diesen Plan, oder zumindest die Dynamiken und Machtstrukturen, die sich dahinter verbergen, versucht MapinfluenCE zu entschlüsseln und journalistisch aufzuarbeiten.
Im Büro von Map InfluenCE in der Prager Innenstadt, umgeben von imposanten Altbauten, sitzt Filip Šebok. Er ist ungefähr 1,75 Meter groß, trägt eine Brille, ein kariertes Hemd und hat einen Kurzhaarschnitt. Seine Arbeit befasst sich mit dem größeren Bild. Während die alten Steine Prags von Geschichte und Tradition sprechen, lässt einen ein Blick in die Recherchen von MapinfluenCE ein neues Zeitalter erkennen, in dem China nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle und politische Macht ist.
„Es gibt diese Momente“, sagt Filip mit einem Lächeln, „in denen du erkennst, dass all die harte Arbeit, die Stunden hinter dem Computer oder im Gespräch mit Politiker*innen es wert sind.“ Und dann wird er ernst. „Diese Arbeit ist anstrengend und man hört nicht um Punkt 17 Uhr auf. Aber sie ist wichtig. Das mag ich.“ Politiker*innen korrekt zu informieren und somit zu wichtigen Entscheidungen beizutragen, gibt Filip große Befriedigung. Das erfolgreiche Veröffentlichen eines neuen Artikels oder ein Dankeschön von Leserinnen ihrer Webseite, die sich nun besser informiert fühlen, treiben ihn an.
In die freie Wirtschaft zu gehen, war für Filip von Anfang an keine Perspektive, er wollte schon immer Mehrwert für die Gesellschaft schaffen, zum Beispiel als forschender Professor oder eben wie jetzt als Mitarbeiter eines führenden Think Tanks. Statt in irgendeinem Büro etwas zu machen, „das dich zwar weiterbringt und vielleicht sogar reich macht“, hatte er immer das Bedürfnis, lieber an etwas zu arbeiten, von dem die Gesellschaft profitiert.“
Während der Gespräche mit Ivana und Filip wird eines klar: Es geht nicht nur darum, den Einfluss Chinas aufzudecken. Es geht darum, die Menschen zu informieren, zu erziehen und zu ermächtigen, damit sie die Fakten von der Fiktion unterscheiden können. Es geht darum, Europa auf die subtilen Manipulationen aufmerksam zu machen, die es bedrohen.
„Es ist eine Balance“, sagt Filip. „Wir müssen wachsam sein, dürfen aber nicht in Paranoia verfallen. Die Erkenntnis und Aufklärung sind unsere stärksten Waffen gegen Manipulation und Desinformation.“
In zahlreichen Analysen und Artikeln zeigt MapinfluenCE, wie die chinesische Propaganda in europäischen Medien über die Jahre hinweg zunimmt. „Dies ist wiederum auch entscheidend, um unsere Gesellschaften weniger anfällig für die Ausnutzung durch ausländische Akteure zu machen.“ Worte, Bilder und Narrative sind die Werkzeuge, welche für diese Verteidigung genutzt werden.
Im Laufe der Zeit hat sich das Team von MapInfluenCE ein beeindruckendes Netzwerk von Informant*innen, Analyst*innen und Forscher*innen aufgebaut, die sich alle dem Ziel verschrieben haben, Licht in diese dunklen Ecken zu bringen. Doch mit diesem Wissen kommt auch Verantwortung. Ivana, selbstbestimmt, ruhig und entschlossen, weiß das. „Es reicht nicht aus, nur die Daten zu haben. Es geht darum, sie in einen Kontext zu setzen, sie zugänglich und verständlich zu machen.“
Es ist diese Mission der Bildung, die das Herzstück von MapInfluenCE ausmacht. Ivana spricht von Treffen mit Politiker*innen, öffentlichen Vorträgen und Workshops, die sie in ganz Europa organisiert haben. „Wir wollen zeigen, wie chinesische Einflussversuche in Europa aussehen“, sagt sie. „Das ist unsere Mission.“
Ein weiteres zentrales Thema ist die Zusammenarbeit. Filip betont, dass MapInfluenCE nicht allein in diesem Kampf ist. „Wir arbeiten Hand in Hand mit anderen Organisationen, Medienhäusern und Regierungsbehörden. Dies ist ein kollektives Bemühen.“ Bedenkt man, dass MapInfluenCE nur aus vier Personen besteht, wirkt die Arbeit, die sie leisten, noch beachtlicher.
Im Büro fällt ein Bild an der Wand auf: der ‚Tank man‘, ein Foto, das einen unbekannten Chinesen zeigt, wie er sich vor eine Panzerkolonne stellt, die auf dem Weg zum Tiananmen-Platz in Peking ist. Filip erklärt: „Wir alle durften damals ein Foto auswählen, das in unserem Büro aufgehängt wird. Ich habe mich für dieses Bild entschieden, weil es den Mut zeigt, sich gegen den Autoritarismus zu stellen, was auch in der modernen tschechischen (und slowakischen) Geschichte sehr wichtig ist und mich persönlich sehr inspiriert.“ Was aus dem Mann auf dem Foto wurde, weiß man bis heute nicht.
In Peking war Filip selber für mehrere Jahre, bis er 2019 seinen Masterabschluss in Internationalen Beziehungen an der Renmin-University in Peking erworben hat und das Land verließ. Seitdem hat China sich immer mehr in Richtung Autokratie und Repression entwickelt. Wann er zurückkehren kann, steht in den Sternen. „Ich fürchte, es ist zu gefährlich für uns Forscher, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten, nach China zu reisen“, gesteht er. Doch obwohl er physisch fernab des Landes ist, bleibt er mit seiner Arbeit eng verbunden, indem er den Nebel der Desinformation lichtet. Im Herzen Europas, in einem Büro, das weit entfernt von den geschäftigen Straßen Pekings liegt, bleibt MapInfluenCE ein unermüdlicher Wächter der Informationsfreiheit. Und während die Welt sich weiterhin in einem ständigen Wandel befindet, steht eines fest: Ivana, Filip und ihr Team werden nicht ruhen, bis die Wahrheit ihren verdienten Platz in der Öffentlichkeit findet.