Man muss die Dinge auch loslassen können

Tanja Tismar kauft selbst am liebsten Gebrauchtes. Auf dem Berliner Trödelmarkt verkauft sie nun den Nachlass ihrer Eltern. Dabei geht es ihr nicht unbedingt um Profit.

„Wie viel kostet das?“ Ein Mann Mitte Fünfzig hält einen Stößel in die Luft. „10€” antwortetet Tanja Tismar. „Das hier gehört auch mit dazu“, sagt sie und deutet lächelnd auf die dazugehörige Schale. Der Kunde inspiziert den antiken Mörser und willigt schließlich ein.  

Seit zehn Uhr verkauft Tismar, 53, heute auf dem Berliner Trödelmarkt in Charlottenburg. Porzellanteller aus Meißen liegen an ihrem Stand, versilbertes Besteck und Kristallgläser. Einige dieser Gegenstände hat sie aus Wuppertal mitgenommen, wo sie wohnt. Andere stammen aus der Haushaltsauflösung ihrer Eltern in Berlin, die vor kurzem verstorben sind. „Es geht mir nicht nur ums Geld“, sagt sie. Viele der Gegenstände sind hochwertig und es wäre schade, sie wegzuwerfen. 

Sie selbst kaufe viel Second Hand ein, vor allem weil dies nachhaltiger sei. Die Kristallgläser, die sie heute anbietet, habe sie selbst mal auf einem Flohmarkt erworben. Junge Touristen und Senioren schlendern an ihrem Stand vorbei, manche bleiben stehen. Die meisten interessieren sich für das silberne Besteck. Andere wenden fachmännisch die Porzellanteller, um den Hersteller zu prüfen. Tismar wartet erstmal ab, bevor sie jemanden anspricht. „Als ich selbst auf Flohmärkten einkaufte, habe ich gemerkt, dass das abschrecken kann.“

Auf einmal scheppert es. Ein Mann, der sich den Stand angeschaut hat, ist in die Teller getreten, die Tismar vor ihrem Stand ausgebreitet hat. Hastig entschuldigt er sich. „Meine Schuld“, sagt Tismar fast gleichzeitig. Beide schmunzeln. Der Mann kauft einen hellgrünen Teller für zehn Euro.

„Bei den teureren Stücken verhandele ich schon“, sagt sie. Vor allem sei ihr aber wichtig, dass ihre Sachen ein „gutes Zuhause“ finden würden. Den Gehstock ihrer Großmutter hat sie für nur fünf Euro an einen Senioren verkauft, obwohl dieser hochwertig war und für sie große emotionale Bedeutung hatte. „Er war mir sympathisch und wirkte, als hätte er nicht viel Geld“, erzählt sie. Sie habe dann noch ein Foto mit dem Gehstock von ihm gemacht – der Erinnerung wegen. „Es gibt viele Dinge, die zu ihrer Zeit eine Funktion haben“, sagt sie. „Aber sie ist irgendwann vorbei. Man muss die Dinge dann auch loslassen können.“

Die JONA ist das Journalismus-Stipendium

Wir bilden Euch zu Journalisten aus – und das neben dem Studium! Bewirb Dich um ein Stipendium der Journalistischen Nachwuchsförderung der KAS. Derzeit fördern wir etwa 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz Deutschland. Diese können an tollen Journalismus-Seminaren teilnehmen und werden zusätzlich sogar finanziell gefördert. Infos zur Bewerbung findest Du auf unserer Seite und auf Instagram.

Mehr erfahren