Logbuch statt Lockdown

Der 22-jährige Paul Piendl aus Schondorf am Ammersee segelt so lange in den Westen, bis er aus dem Osten wiederkommt. Mit der Reise erfüllt sich der gelernte Bootsbauer einen Kindheitstraum – der vor dem Start schon fast geplatzt wäre. 

Foto: Hanna Piendl

Schondorf/Curaçao – Am Bordstein einer abgeschiedenen französischen Landstraße kurz hinter der deutschen Grenze, muss Paul Piendl im März 2020 eine Entscheidung treffen, die sein weiteres Leben grundlegend beeinflusst. Die Zeitungen titeln, dass sich weltweit Tausende mit einem neuartigen Virus angesteckt haben, mittlerweile verbreitet sich der Erreger auch in Europa. „Ich war gerade fertig mit der Ausbildung und mit einem Freund auf dem Weg nach Portugal, um mein Boot für meine Weltumsegelung herzurichten“, erinnert sich der Schondorfer. 

Gerade mal einen Tag unterwegs telefoniert er in der Nacht mit seinen Eltern. Krisensitzung. “Umkehren hätte bedeutet, die Reise auf unbestimmte Zeit zu verschieben”, erzählt Vater Markus, der heute, knapp anderthalb Jahre später, die Reise seines Sohnes von zuhause verfolgt, “deswegen waren wir uns einig, dass er weitermacht.” Die Familie markiert jeden erreichten Punkt daheim auf einer Weltkarte – 4500 Seemeilen sind es inzwischen. 

Am letzten Tag vor der Grenzschließung schafft es der 22-Jährige damals nach Portugal. Durch den Lockdown zieht es sich jedoch hin, bis er mit dem Umbau seines Bootes starten kann. „Eigentlich wollten wir das Boot in drei Monaten herrichten, am Ende sind es neun geworden”, sagt Piendl. Die Corona-Krise ist nur eine von vielen Herausforderungen, die die kommenden Monate prägen . 

Vom Kindheitstraum zum eigenen Boot 

Inspiriert ist Pauls Traum von einem Buch des Weltumseglers Rollo Gebhard, das er als Grundschüler von seinem Uropa erbt. “Das hat er förmlich verschlungen”, erinnert sich Mutter Susanne. Mit sechs Jahren sammelt der junge Segler erste Erfahrungen auf dem Ammersee, belegt Kurse und nimmt an Regatten teil. “Mit fünfzehn hat er uns das erste Mal von seinem Plan erzählt”, berichtet Vater Markus, “das haben wir so mittelmäßig ernst genommen.” Doch Paul Piendl bleibt dran: In seinem Jugendzimmer fängt er an, Winde, Piratengebiete, Hurrikan- und Taifunsaisons auf Landkarten einzuzeichnen und überlegt sich erste Routen. 

Auf Karten wie dieser zeichnet Paul als Jugendlicher bereits erste Routen für seine Weltumsegelung ein.

Nach dem Abitur 2017 entscheidet sich der Hobbysegler, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Er beginnt eine Ausbildung zum Bootsbauer, für die er dreieinhalb Jahre zwischen Ammersee und Berufsschule in Lübeck pendelt. Im zweiten Lehrjahr beschließt er, ein Boot zu kaufen. “In dem Moment wussten wir, der meint das richtig ernst”, erinnert sich Susanne Piendl. In Portugal wird der Schondorfer fündig. Der Einmaster mit dem Namen “WASA” wechselt im November 2018 den Besitzer. 

Bis der Segler mit dem Umbau beginnen kann, vergehen jedoch fast eineinhalb Jahre. In dieser Zeit wird ihm bewusst, dass am Boot viel mehr gemacht werden muss als ursprünglich gedacht. Er braucht vor allem eins: Geld. Neben seiner regulären Arbeit jobbt er in der Gastronomie und im Urlaub auf dem Oktoberfest. Nach dem Ende seiner Ausbildung geht es dann nach Portugal. 

Das Buch von Rollo Gebhard ist auch bei der Weltumsegelung mit im im Gepäck. Jedoch eine Taschenbuchversion denn: Das Original hat eine Unterschrift des Autors. Foto: Paul Piendl

“Brutale Schufterei”, bis das Boot startklar ist

Dort kommt er nicht nur durch die Pandemie, sondern auch finanziell und psychisch an seine Grenzen. „Freunde, die angeboten hatten zu helfen, konnten durch die Beschränkungen nicht einreisen und zwischendurch war ich komplett pleite“, sagt Piendl. Das Boot musste von Grund auf entkernt werden: „Das war eine brutale Schufterei, ich würde sagen acht Stunden am Tag an sechs Tagen der Woche.“ Er bekommt jedoch erste Sponsorengelder und kann bei Familienfreunden an der portugiesischen Algarve wohnen, die ihn sehr unterstützen. „Irgendwann war einfach schon zu viel passiert, um aufzugeben. Ich wollte unbedingt mit diesem Boot segeln gehen“, erzählt der Schondorfer, “das hat mich angetrieben.” 

Nach neun Monaten liegt die “WASA” endlich im Wasser – ein unbeschreiblich gutes Gefühl für Piendl. Für die letzten Arbeiten bekommt der Bootsbauer Unterstützung von zwei Schulfreunden, zusammen bilden sie die Crew für die Atlantiküberquerung. Gerade bevor der zweite Lockdown in Portugal ausgerufen wird, brechen sie an Silvester 2020 zur ersten Etappe auf die Kanaren auf. 

Fast wäre die Reise dort schon vorbei gewesen: „Bei der Überfahrt hatten wir richtige Scheißbedingungen. Bestimmt sechs Meter hohe Wellen und alle waren seekrank“, erinnert sich Piendl, „wir dachten uns, wenn das so weitergeht, fahren wir direkt wieder nach Hause, wenn wir ankommen. Glücklicherweise war der letzte Tag vor unserer Ankunft aber echt schön, sonst hätte ich keine Crew mehr gehabt.“ 

Die Atlantiküberquerung 

Dann steht die erste richtig große Etappe an: Die Atlantiküberquerung. „Eigentlich gibt es nicht viel zu tun, gleichzeitig ist es super anstrengend. Man ist müde, kommt durch die Schiffsbewegungen aber auch schlecht zum Schlafen”, sagt der Schondorfer, “dann fangen die kleinsten Geräusche wie das Klackern eines Gewürzregals an einem unglaublich auf die Nerven zu gehen.“ Mitten auf dem Atlantik reißt ihnen ein Segel, sie müssen es in zweitägiger Handarbeit wieder zusammennähen. Nach 18 Tagen und 2.500 Seemeilen erreichen sie in Französisch-Guyana den südamerikanischen Kontinent. Das sei „schon ein irres Gefühl“ gewesen. 

Gerade hat uns eine große Welle so erwischt, dass das Wasser über das ganze Boot durch das offene Fenster in Leons Bett geschwappt ist. Leon ist jetzt wach„: Seine Erlebnisse hält Paul Piendl in einem Logbuch fest. Foto: Paul Piendl

“Orte entdecken, an die sonst niemand kommt”

Gemeinsam segelt die Crew in die Karibik, wo sich ihre Wege wie zuvor geplant im April dieses Jahres trennen. Seitdem ist Paul Piendl allein unterwegs, nach eigener Aussage aber „nie einsam“. Er freundet sich mit anderen Reisenden und Einheimischen an, trifft Segler aus Landsberg und vom Bodensee. Im Juli segelt er alleine von Grenada nach Curaçao und entgeht knapp einer Begegnung mit Hurrikan Elsa, weil er sicherheitshalber kurzfristig entscheidet, länger im Hafen zu bleiben, als ursprünglich geplant. 

Im Juli besuchen ihn seine Eltern, zwischendurch arbeitet er an seinem Blog, hilft anderen bei der Instandhaltung ihrer Boote und jobbt tageweise auf einem Ausflugsdampfer, um die Reisekasse aufzubessern. Natürlich sei es eine Herausforderung, während einer globalen Gesundheitskrise eine Weltumsegelung zu machen. Beispielsweise seien manche Staaten nicht zugänglich oder Tests so teuer, dass es sich die Einreise nicht lohnt. „Auf der anderen Seite sind so wenige Touristen unterwegs, dass man die Inseln oft für sich allein hat. Mit dem Boot kann man Orte entdecken, an die sonst niemand kommt,“ sagt Piendl. 

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Wie es weitergeht

Für den Schondorfer geht es Anfang September weiter nach Panama, wo er einen Freund abholen will, um gemeinsam im Oktober die wahrscheinlich bekannteste Wasserstraße der Welt zu passieren. Im März 2022 startet dann die Saison für die Pazifiküberquerung. Eine Crew hat der 22-Jährige hierfür noch nicht, er kann sich gut vorstellen, etappenweise Interessierte mitzunehmen. Aber: „Da muss man sich auf jeden Fall gutverstehen. Im Pazifik gibt es wegen der weiten Distanzen und der sporadischen Infrastruktur nicht so viele Möglichkeiten, wieder abzuspringen“. 

Frühestens in zweieinhalb bis drei Jahren wird Paul Piendl an den Ammersee zurückkehren. Was er dann machen will, weiß er noch nicht genau, Ideen hat er viele. An der französischen Landstraße nicht aufgegeben zu haben, bereut er nicht: “Das war die beste Entscheidung meines Lebens.”

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