Kreuzberger Idylle

Die Bergmannstraße, ein Zukunftsexperiment mitten in Kreuzberg. Herr Knecht kümmert sich um die Bepflanzung der Straße und glaubt: Damit auch andere Straßen so aussehen, wie hier, muss gesellschaftlich noch viel passieren.

Betritt man die Bergmannstraße in Kreuzberg, fühlt man sich plötzlich wie in einem anderen Berlin. Das Brummen der Autos wird leiser. Pflanzenkästen und Stühle trennen die Fahrspuren. Unterschiedliche Menschen drängen sich auf dem Bürgersteig. Sie stöbern in Buchläden, schlürfen Heißgetränke in Cafés.

Seit 2018 verändert sich die Straße ständig. Die Politik setzt ein Experiment im Bereich der Mobilitätswende um. Die Autos schleichen mit 10 Kilometer pro Stunde über die Einbahnstraße, um Lärm zu vermeiden. In die entgegengesetzte Richtung fahren unzählige Fahrräder. Das alles soll das Herzstück des „Kiez‘ der Zukunft“ werden, so hatte es die damalige Bürgermeisterin Kreuzbergs Monika Herrmann 2020 ausgedrückt.

Mitten in diesem Herzstück steht ein Mann. Er stellt sich nur als Herr Knecht vor. Bedächtig widmet er sich seiner Arbeit: Mit einem Brauseschlauch gießt er die Pflanzen. Knecht ist Mitglied des Stadtteilausschusses Kreuzberg. Er sagt, es sei ihm wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger bei der Umgestaltung des Bezirks mitbestimmen. Die Anpassung der Bergmannsstraße sei den Einwohnern „von oben aufgesetzt“ worden, sagt er. Trotzdem sei es der Politik wichtig, den Interessen möglichst vieler Menschengruppen gerecht zu werden: den Interessen der Ladenbesitzer, der Passanten, der Autofahrer.

Das scheint aufzugehen: Fragt man Ladenbesitzer und Fußgänger, hört man oft: „Wir finden das eine sehr gute Sache.“ Durch den ruhigen Verkehr seien auch die Menschen ruhiger, die Stimmung friedlich. Ein Ehepaar lobt die blechernen Pflanzenkästen. Sie wurden einst in der Industrie genutzt, sagt Knecht, und würden nun der Verschönerung des Viertels dienen. Das Traditionelle mit dem Neuen zu verbinden, darum scheint es hier immer wieder zu gehen.

Knecht findet, das Projekt sei ein guter Ansatz, um die Aufenthaltsqualität durch grüne Flecken und beruhigten Verkehr zu verbessern. Glaubt man Knecht, profitiert davon auch das Geschäft der umliegenden Läden. „Wer hier einen Laden hat, hat eine Goldgrube gefunden“, sagt er.

Ähnliche Projekte wurden in letzter Zeit auch an anderen Standorten in Berlin gestartet. Dort stießen sie aber auf Gegenwind – so zum Beispiel in der beliebten Einkaufsmeile in der Friedrichstraße. Das habe in Kreuzberg besser funktioniert, weil der Stadtteil progressiver und ruhiger sei, glaubt Knecht.

Die Bergmannstraße sei erst der Anfang. Für die Mobilitätswende müsse noch viel getan werden. Aber die Voraussetzungen für ein größeres Straßennetz in diesem Stil seien noch nicht gegeben. Es müssten mehr Anreize gesetzt werden, sodass die Menschen bei Kurzstrecken eher mal auf das Auto verzichten. Sonst bleibt die Bergmannsstraße wohl eher die Ausnahme.