Kreuz und Queer
Schwul sein und für die Kirche arbeiten – bisher unmöglich. Jan Baumann hat sich deshalb nie getraut, seinen Traum vom Priestersein zu verwirklichen. Aber neue Entwicklungen lassen ihn hoffen.
Wenn er den Kirchraum der Krypta schmückt, wird es bunt. Der Raum ist nicht besonders groß, kreisförmig, mit dunklem Boden und weißen Wänden. Stühle für rund 80 Personen sind im Halbkreis aufgestellt. Die Decke ist tief und leicht gewölbt. In der Mitte des Raumes legt Jan Baumann eine Fahne in Regenbogenfarben aus. Er zupft nochmal an den Ecken und zieht den Stoff etwas auseinander. Am Handgelenk trägt der 30-Jährige ein Armband aus bunten Perlen, die auch aussehen wie ein Regenbogen. Zwischen den Perlen befindet sich eher unscheinbar ein kleines Holzkreuz.
Einmal im Monat dekoriert Jan Baumann die Krypta der katholischen Gemeinde St. Joseph Münster-Süd. Immer dann, wenn die Queergemeinde Münster ihren Gottesdienst dort feiert. Baumann ist selbst schwul. Doch er möchte mehr tun, als nur bei den Gottesdiensten zu helfen. Sein Wunsch ist es, als Pastoralreferent zu arbeiten. Als schwuler Mann in einer festen Partnerschaft kam dieser Beruf für ihn bisher nicht in Frage. Vor allem, weil er seine sexuelle Orientierung und seine Partnerschaft nicht verstecken möchte. Ein Theologiestudium war unvorstellbar. Das könnte sich mit dem neuen Arbeitsrecht ändern, das aktuell von den deutschen Bischöfen diskutiert wird.
Dass sich Kirche und queer sein nicht ausschließen, möchte die Queergemeinde Münster zeigen. Ehrenamtliche wie Baumann versuchen einen Ort zu schaffen, an dem queere Menschen akzeptiert werden und sich austauschen können. Zum monatlichen Queer-Gottesdienst lädt die Gemeinde alle Menschen ein, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Ziel ist es, zusammenzukommen. Im Vordergrund des Gottesdienstes stehen Themen rund ums Queer-sein. Rückblickend wünscht sich Baumann, die Gemeinde früher gekannt zu haben. Er selbst erfuhr erst drei Jahre nach seinem Umzug nach Münster von ihr. „Wenn es dann plötzlich einen Ort gibt, der queer sein, der schwul sein und Kirche verbindet, da kann man sich nicht vorstellen, was das in einem auslöst.” Er fühlt sich angekommen. Doch Jan Baumann wünscht sich noch mehr Akzeptanz von der Kirche.
Pflege ist auch Gottesdienst
Aktuell arbeitet Baumann als Krankenpfleger im Herz-Jesu-Krankenhaus in Münster-Hiltrup. Dort muss sich das Personal zwar auch an die katholische Sittenlehre halten, aber durch den Pflegenotstand wird diese kaum noch beachtet. Nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung zum Bürokaufmann und dem nachgeholten Fachabi ging Baumann in die Pflege. Erst zwei Jahre als Hilfskraft, dann in die Ausbildung zum Altenpfleger.
„Mir hat mal ein Pfarrer gesagt, dass der Dienst, den ich da an den Menschen tue, auch Gottesdienst ist“, erzählt er. Doch trotzdem wird Baumann in seiner Arbeit nicht vollkommen glücklich. In seinem Beruf hat er meist nur Zeit für die körperliche Pflege.
Doch Baumann möchte sich auch um die seelische Gesundheit der Menschen kümmern. Deshalb spielt der Pfleger mit dem Gedanken, den Beruf zu wechseln. Und eine neue Bewegung innerhalb der katholischen Kirche gibt ihm die Hoffnung, vielleicht doch noch Pastoralreferent werden zu können.
Protestaktion sorgt für Diskussion ums Arbeitsrecht
Die Initiative „out in church“ bringt Anfang 2022 die Diskussion um das Arbeitsrecht der katholischen Kirche in Deutschland ins Rollen. Über hundert in der katholischen Kirche angestellte Personen bekennen sich öffentlich zu ihrer Sexualität und setzen damit ihre Arbeitsverträge aufs Spiel. Baumann wusste schon vor der Veröffentlichung von der Aktion. Er hatte sich dagegen entschieden, dabei mitzumachen. Dass die Kirche auf so eine Protestaktion reagieren müsse, war ihm klar. „Ich hätte aber nicht gedacht, mit welchem Aufbruchsgefühl die Kirche reagiert hat. Auch, dass eine Kirche, die in Jahrtausenden denkt, so schnell etwas ans Laufen kriegt“, erinnert sich Baumann an seine erste Reaktion.
Seit „out in church“ diskutieren Bischöfe deutschlandweit über das Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Felix Genn, Bischof von Münster, spricht sich bereits kurz nach „out in church“ für die Betroffenen aus: „Im Bistum Münster müssen Mitarbeitende, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen fürchten.“ Die Sorge mancher Gläubiger bleibt jedoch, dass sich die Änderung des Arbeitsrechts in die Länge zieht. Das hätte negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Kirche.
Auch Baumann hat Zweifel daran, ob ein neues Arbeitsrecht so einfach umgesetzt werden kann. Er fürchtet, dass selbst wenn sich die deutschen Bischöfe bis zum Sommer auf neue Reglungen einigen, Widerstand aus Rom kommt. „Wir wissen ja schließlich nicht, was es da alles noch für stark konservative Leute in Rom gibt“, meint Baumann.
Den Traumberuf als Flucht
Die Immatrikulation für ein Theologiestudium wäre für den derzeitigen Krankenpfleger ein großer Schritt; die Möglichkeit, sich seinen Kindheitstraum vom Dienst in der Kirche zu erfüllen. Als Jan Baumann Kind war, Mitte der 90er-Jahre, war Papst Johannes Paul II. Oberhaupt der katholischen Kirche. Ihm wird heute noch vorgeworfen, Missbrauchsfälle gedeckt und homosexuelle Menschen als „Sünder“ diskriminiert zu haben.
In der Pubertät hat sich Baumanns Wunsch Priester zu werden vorerst gelegt. Er will dem Familienbild entsprechen, das ihm anerzogen wurde: eine Frau finden, Kinder, Haus und Hund. Ein paar Jahre später, mit 21 Jahren, wird ihm klar, dass er schwul ist. Jetzt kommt für ihn das Priesteramt wieder in Frage. „Mir war das erst nicht recht, dass sich diese andere sexuelle Form, die Homosexualität, in mir aufdrängte. Und ich wusste als Priester kann ich davor ein wenig entfliehen“, sagt Baumann.
Die Hoffnung, zu sich selbst stehen zu können
Bei einer Reise zum Weltjugendtag in Brasilien wird der Wunsch konkreter. Deshalb sucht Baumann das Gespräch zu einem Pfarrer. „Er sagte mir dann, er finde das toll, dass ich mir jetzt nochmal diesen Berufswunsch ans Herz gelegt habe. Aber er würde mir empfehlen, bevor ich die Schritte wage, solle ich mir klar werden, was es bedeute. Auch wenn das hieße, ich würde erstmal experimentieren. Mit Frauen oder Männern – egal.“ Da bekommt Baumann erstmals das Gefühl, vielleicht doch zu sich selbst stehen zu können. Vorher hatte er aus kirchlichen Kreisen nie zu hören bekommen, dass eine Beziehung zwischen Männern möglich wäre.
Es ist die Zeit, als sich Papst Franziskus nach dem Weltjugendtag gegen die Ausgrenzung von homosexuellen Menschen in der Kirche ausspricht. Jedoch nur solange sie keine „Lobbyarbeit“ für ihre sexuelle Orientierung betreiben würden. Kurz gesagt, die sexuelle Orientierung spielt nur dann keine Rolle, wenn nicht darüber gesprochen wird. Doch Baumann will sich nicht verstellen müssen. Er entscheidet sich gegen den beruflichen Weg in die Kirche.
Die neuen Veränderungen innerhalb der katholischen Kirche lassen Baumann nun doch noch hoffen, Theologie studieren und Pastoralreferent werden zu können: „Wenn wir beim neuen Arbeitsrecht von Spätsommer sprechen, dann kann es sein, dass ich mich im Herbst einschreibe.”