Kopfurlaub

Jedes Jahr erscheinen rund 8000 neue Kinder- und Jugendbücher. Da fällt es schonmal schwer, das richtige Buch auszuwählen. Julia Petri hilft bei dieser Entscheidung. Sie ist Buchhändlerin in einem der ältesten Kinderbuchläden Deutschlands. Was macht die Arbeit für sie so besonders?

Die rotbraune Tür öffnet sich. Draußen rauschen Autos vorbei, schwacher Wind weht Regen in den kleinen Laden. Ein Mädchen, vielleicht zehn, elf Jahre alt, rennt herein. Die Tür fällt hinter ihm zu, hier drinnen ist es jetzt ganz ruhig. 90 Quadratmeter, warmes Licht, hellgelbe Wände, vollgestellte Regale. Das Mädchen läuft zwischen Rätselheften, Spielzeug und Papiergirlanden umher. Suchend blickt es sich um. Jetzt beginnt die Arbeit von Julia Petri. „Es gibt für jeden das richtige Buch – man muss es nur finden“, sagt sie.

Petri, 49 Jahre alt, gestreiftes Shirt, Stoffschuhe, hochgestecktes Haar, ist gelernte Buchhändlerin. Fast ihr ganzes Berufsleben hat sie in einer großen Buchhandlungskette verbracht. Vor zwei Jahren wechselte sie in ein kleineres Geschäft in der Bonner Innenstadt, in den „Kleinen Laden“. „Hier kann ich die Kunden viel persönlicher und emotionaler beraten“, sagt Petri, „es geht wirklich um die Liebe zum Buch.“ Das Besondere: Im „Kleinen Laden“ werden seit 1950 ausschließlich Bücher für Kinder und Jugendliche verkauft. Die Buchhandlung ist nicht profitorientiert, sondern wird von einem Verein getragen. Dieser hat das Ziel, bei Kindern und Jugendlichen die Freude und Begeisterung für Literatur zu wecken. Klar, dass hier insbesondere die Kleinen von Petri die ganz große Beratung erhalten. Sie wendet sich dem suchenden Mädchen zu. „Haben Sie das Buch Wo ist Walter?“, fragt es. Die Buchhändlerin beugt sich auf Augenhöhe des Kindes und stöbert in einer Bücherkiste. Schnell hat sie das gewünschte Buch gefunden. Petri kennt sich im Laden aus, weiß genau, wo jedes Buch steht. „Das ist alles hier drin“, sagt sie und deutet auf ihren Kopf. Außerdem sei jedes einzelne, zum Verkauf angebotene Werk mit Bedacht ausgesucht worden. Die Kunden wissen dieses Engagement zu schätzen. Eine Frau kommt schon seit 30 Jahren her, früher, um Bücher für ihre Tochter zu kaufen, heute für ihre Enkelkinder. 

Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Viele junge Menschen verbringen immer mehr Zeit mit Instagram und TikTok statt mit dem Lesen. Petri findet das schade. Lesen ist für sie „Kopfurlaub“. Es gehe darum, dem Gehirn eine Auszeit zu gönnen, abzuschalten und zu entspannen. „Durch die sozialen Medien sinkt bei Kindern die Konzentrationsfähigkeit“, sagt die Buchhändlerin, „das kann für die junge Generation in Zukunft zum Problem werden, beispielsweise im Studium.“ Ein Buch hingegen gebe ihnen Ruhe. Beim Lesen könne man alles um sich herum für eine Zeit lang ausblenden und in eine andere Welt eintauchen. Urlaub eben. „Die Kinder sollen sich im Buch wohlfühlen“, beschreibt Petri ihr Ziel. Wenn ihr das gelingt, sei sie glücklich. „Dann weiß ich, dass ich den schönsten Beruf der Welt habe“, sagt die Buchhändlerin. 

Eine Frau betritt den kleinen Laden. Als diese Petri nach einer speziellen Empfehlung für ihren Sohn fragt, hat Petri gleich ein geeignetes Buch zur Hand. Mit Gestik, Mimik und spannungsvoller Stimme präsentiert sie der Kundin die Handlung des Jugendromans. Volltreffer. Dieses „Herzblut“ mache den „Kleinen Laden“ so besonders, sagt sie. Petri blättert im dicken Gästebuch mit Ledereinband: Kinderliteratur-Größen wie Paul Maar, Peter Härtling und Boy Lornsen haben hier schon aus ihren Romanen gelesen und sich in dem Gästebuch verewigt. Auch Petri selbst liest viel. „Kraut und Rüben“, sagt sie, alles durcheinander. Ihre Lieblinge im Laden sind die Bilderbücher, aber auch alle anderen Werke kennt sie genau. So kann sie das perfekte Buch für jedes Kind finden. „Es macht mich einfach glücklich, andere glücklich zu machen“, sagt sie mit einem Lächeln und wartet wieder auf das Aufschwingen der Tür.

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