Kochboxen statt Kasernekantine
Früher war Tim Engelbrecht bei der Bundeswehr Fallschirmjäger, heute betreibt er sein eigenes Food-Start-Up und verkauft seine Ware auf regionalen Wochenmärkten. Die Lebenswelten von Soldat und Marktverkäufer liegen dabei überraschend nah beieinander.
100 Gramm Schlagsahne, 50 Gramm Heidelbeeren, 10 Gramm Schokoladenraspel – die Zutaten für das Creme-Dessert sind genau abgewogen. Vorsichtig legt Tim Engelbrecht sie in eine braune Papiertüte und reicht sie über den Tresen des Verkaufsstands. Auf dem Bonner Wochenmarkt ist an diesem Samstagvormittag trotz des Regens viel los. Engelbrecht steht gebückt in seinem kleinen Wohnwagen, auf der Anrichte steht ein Dutzend Papiertüten mit Zutaten für verschiedene Gerichte zum selber kochen. Engelbrecht ist braun gebrannt, muskulös und trägt einen Vollbart. Er sieht nicht unbedingt aus wie der typische Marktverkäufer. Tatsächlich ist er ausgebildeter Soldat und kämpfte für die Bundeswehr in den 2000er Jahren in Afghanistan. Heute führt Engelbrecht zusammen mit seinem Bruder ein Lebensmittelunternehmen und steht von Mittwoch bis Samstag auf dem Markt.
„Die Bundeswehr hat mich damals diszipliniert“, sagt der 40-Jährige und zupft an einem Büschel Koriander herum. Er ist fokussiert auf die Arbeit. Genauigkeit ist ihm heute auf dem Markt genauso wichtig wie früher in der Armee. Es ist eng in seinem Verkaufswagen. An der Wand hängt eine hölzerne Gewürzkommode. In der Luft der Duft von Rosmarin. Seit zehn Jahren ist das hier seine Welt, denn seine Arbeit bei der Bundeswehr und die damit verbundenen Auslandseinsätze fanden seine Eltern irgendwann zu gefährlich. Auf ihren Wunsch hin tauschte Engelbrecht Kaserne gegen Hörsaal. „Aber das BWL-Studium war mir zu theoretisch“, sagt Engelbrecht. Er wollte praktisch arbeiten. Seine Bachelorarbeit verfasste er deshalb als Businessplan für sein eigenes Unternehmen. Gemeinsam mit seinem Bruder gründete er darauf aufbauend 2013 das Start-Up Cookit. Das Konzept: Kochboxen zum selber kochen. Viele verschiedene Rezepte bilden die Grundlage. Die Zutaten dazu kommen bereits vorportioniert in eine Papiertüte. Der Kunde muss diese Tüte nur noch mit nach Hause nehmen und kann dort direkt mit der Zubereitung loslegen. Engelbrecht grinst in eine seiner Kochtüten und sagt: „Mittlerweile haben wir drei Stände in drei Städten: Köln, Siegburg und Bonn.“ Das Unternehmen hat 15 Mitarbeiter, außerdem gibt es einen Lieferservice.
Sechs verschiedene Speisen hat Engelbrecht pro Woche zur Auswahl. 7,80 € kostet etwa das Spargelgericht. Ein fairer Preis? „Viele Menschen kaufen lieber bei mir, als ins Restaurant zu gehen“, sagt Engelbrecht, „im Vergleich dazu sind wir aber günstiger. Zudem macht das eigene Kochen der Rezepte auch noch Spaß!“ Engelbrecht denkt sich die wechselnden Rezepte und die Zutatenmischungen selbst aus: Der ehemalige Soldat ist bei Cookit heute als Koch für die Geschmacksexplosionen zuständig. „Das ständige Ausprobieren, Experimentieren und Variieren in der Küche gefällt mir am meisten“, sagt er.
Statt Erbsensuppe aus der Kasernenkantine bringt er jetzt Feinkost auf den Tisch. Jetzt legt er die Zutaten für Béchamel-Kartoffeln mit grünem Spargel einem älteren Mann in dessen geflochtenen Einkaufskorb. Vom Dach des Marktstandes tropfen drei dicke Wassertropfen auf den Tresen. Das Kartenlesegerät piepst viermal. Bezahlt. Lachend nimmt der Kunde den Angebotsflyer für nächste Woche von Engelbrecht entgegen. Man kennt sich.
Aktuell gibt es für Engelbrecht aber auch zahlreiche Herausforderungen: Die Lebensmittelbranche leidet unter der Inflation, hinzu kommen immer dynamischere Ernährungstrends und höhere Kundenansprüche. Auch Lieferengpässe und der Fachkräftemangel belasten den Familienvater. „Ob wir in zehn Jahren noch das machen, was wir heute machen, weiß ich nicht“, sagt Engelbrecht achselzuckend, „aber damals bei der Bundeswehr zu kündigen und in die Selbstständigkeit zu wechseln, das war definitiv die richtige Entscheidung.“ Was er als Soldat gelernt habe, helfe ihm auch jetzt im Job und in Krisenzeiten. Dazu zählten etwa Resilienz und Durchhaltevermögen. Engelbrecht blickt deshalb optimistisch in die Zukunft.
Die Schlange vor seinem Verkaufsstand gibt ihm recht. Ein älterer Herr und ein junges Paar möchten jeweils eine der braunen Papiertüten. Der Renner dieser Woche: Zucchini-Linsen-Auflauf mit Miso-Tomaten, süßen, roten Zwiebeln und cremiger Kräuter-Sauce. Nächste Woche gibt es Rumpsteak in Rübensirup-Marinade. „Das ist eigentlich ein total verrücktes Rezept, aber die Kombi macht’s“, sagt Engelbrecht und lächelt dem jungen Paar am Tresen zu, „der Laden läuft!“