„Keep going, keep going, keep going“

Eine nachhaltige Alternative zu Plastik-Brillen: Wie ein kreativer Ukrainer während des Krieges aus Prütt Accessoires entwirft.

Zwischen rohem Beton und wilder Botanik erklingt entspannte Technomusik. Junge Menschen unterhalten sich auf Englisch, Ukrainisch und Deutsch, während sie ihre Stände für das „Visionary Festival“ im Lobe Block Berlin-Gesundbrunnen vorbereiten. Unter ihnen Akim Karpach, 24, aus der Ukraine. Sorgfältig platziert er Sonnenbrillen auf seinem Tisch. Es ist kurz vor zwölf und die ersten Gäste treffen auf dem Gelände ein.

Akim wurde in Kiew geboren, studierte dort Soziologie und arbeitete als freiberuflicher Fotograf. Heute ist er Creative Director für das ukrainische Label „Ochis“ („Auge“), das seit 2018 die ersten nachhaltigen Brillen der Welt aus Kaffeesatz produziert. Zuständig ist er insbesondere für das Design, bei dem er großen Wert auf eine zeitlose Ästhetik lege. Einige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ist er mit seiner Freundin und Hund nach Zypern geflüchtet. Seit einem Monat wohnen sie in Berlin, denn hier seien die Möglichkeiten vielfältiger. 

Eine erste Besucherin betrachtet neugierig die Kollektion und kommt mit Akim auf Ukrainisch ins Gespräch. Sie nimmt ein ovales Modell in die Hand. Es besteht aus Kaffeeabfällen. Für den Designer sind es jedoch keine Abfälle, sondern eine wertvolle Ressource. Gemischt mit natürlichen Ölen entsteht aus ihnen ein neues, langlebiges Material. Es verleiht den Brillen eine geschmeidige Haptik, ist dazu sehr leicht und riecht dezent nach Kaffee. Akim selbst trägt eines seiner Gestelle. Er freut sich immer über das Interesse anderer Menschen und verrät stolz, wie ihn vor kurzem ein Mann in der U-Bahn auf seine Brille angesprochen habe.

Brillen sind für Akim in erster Linie ein Accessoire. Er entwirft sie gender-neutral und in universeller Passform. Was in einer kleinen Garage begann, haben er und sein Team über die Jahre in Herstellung und Design perfektioniert. Auch wenn Sie dabei an das Wachstum der Firma denken, steht Umweltbewusstsein immer an erster Stelle. Akims Freundin Julia hat ihren Job durch den Krieg verloren und arbeitet jetzt auch im Unternehmen. Die beiden halten zusammen – so wie die gesamte ukrainische Community es tue. Besonders junge Geflüchtete seien in Berlin gut vernetzt. Instagram spiele dabei eine sehr bedeutende Rolle.

Julia reicht ihm einen Teller mit süßlich duftender Nachspeise – eine Spezialität aus der Ukraine namens “Syrnyky”, die unter anderem auf der Speisekarte der Kantine steht. „Durch den Krieg verbreitet sich unsere Kultur in den europäischen Ländern”, sagt Akim. Vermehrt stößt er in seinem Alltag in Deutschland auf ukrainische Speisen, Kunst oder Musik. Veranstaltungen wie diese leisten aus seiner Sicht einen wichtigen Beitrag zum kulturellem Austausch und der Integration.

In seiner Heimat ist Akim seit der Flucht nicht mehr gewesen. Die Zukunft sei ungewiss, erstmal möchte er in Berlin bleiben. Wichtig sei es, ukrainische Kleinunternehmen zu unterstützen und somit die ukrainische Wirtschaft. Akims Erfahrung nach seien Menschen in der EU schon bereiter für Nachhaltigkeit als in der Ukraine. So hofft er bald einen Concept Store in Berlin zu finden, der seine Brillen ins Sortiment aufnimmt. Sowohl beruflich als auch privat sieht er jeden Monat als eine neue Chance, einen Schritt voran zu kommen. Sein Motto: „Keep going, Keep going, Keep going!“. 

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