Jesus, Yam und Father Stanley

Alt, weiß, atheistisch – das ist typisch Thüringen. Jung, Schwarz, katholisch – das ist Father Stanley. Der Priester aus Nigeria will diese zwei Welten vereinen.

Father Stanley baut in seinem Garten unter anderem Bitterlief an.

Father Stanley hat extra gekocht – nigerianisches Essen, die Küche seines Heimatlandes. Auch wenn er hier in Meiningen über 6000 Kilometer von zuhause entfernt ist, hat er im Garten hinter seinem Pfarrhaus Gemüse aus Nigeria angepflanzt. Neben Green, Waterleaf und Bitterlief wachsen Tomaten, Gurken und Kürbisse. Daraus hat er jetzt Yam, eine Art gebratene Süßkartoffel, und Moimoi, eine herzhafte Pastete, zubereitet. Vor dem Essen faltet er die Hände, bekreuzigt sich und betet.

Stanley Ekwugha, den alle nur Father Stanley nennen, ist in einem Dorf im Südosten Nigerias aufgewachsen. Er ist 42 Jahre alt und arbeitet seit zehn Jahren als Priester. 2015 kam er nach Deutschland, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Damals lernte er in Bonn innerhalb eines halben Jahres Deutsch und begann anschließend seine Promotion. 2018 entschied er sich, nach einem Job als Priester in einer Gemeinde zu suchen: „Damit meine priesterliche Seele nicht stirbt.” Schnell merkte Father Stanley aber, dass es schwer ist, als ausländischer Priester in Deutschland einen Job zu finden. Und das, obwohl voriges Jahr im ganzen Land nur 56 katholische Priester ordiniert wurden – bei 11.005 Gemeinden. „Viele Gemeinden möchten keine ausländischen Priester“, erzählt Father Stanley. 

Letztlich hatte er aber Glück und fand eine Stelle als Kaplan in Meiningen. Dort unterstützt er seit 2018 zusammen mit zwei Priestern, die bereits in Rente sind, den Pfarrer Stephan Burmeister bei der Betreuung von neun Gemeinden in der Umgebung. “Ich glaube, ich war einer der ersten Schwarzen hier in Meiningen”, scherzt er. In Thüringen sind nur 7,6 Prozent der Menschen katholisch und nur 5,4 Prozent der Bevölkerung haben eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche. Mit Father Stanley wurden aber auch die ausländischen Katholiken und Katholikinnen sichtbarer. 

Kirche als Ersatzzuhause

Der Gottesdienst in der kleinen Sankt Helena Kirche in Schmalkalden ist ungewöhnlich voll. Über 20 Besucher und Besucherinnen sind an diesem Sonntagnachmittag gekommen. Sie sitzen verteilt in den acht Bankreihen der Kirche und schauen Richtung Altar. Dort hält Father Stanley seine Predigt. Er trägt ein Gewand in verschiedenen Grüntönen, auf der Brust ist ein großes goldenes Kreuz aufgestickt. Er gestikuliert, macht Witze, lacht, stellt Fragen. Die Gläubigen sind fast alle unter 30, die meisten von ihnen wurden nicht in Deutschland geboren, studieren jetzt aber in Schmalkalden.

Normalerweise hält Father Stanley seine Messen hier in Schmalkalden auf Deutsch. Nur einmal im Monat, so wie heute, gibt es einen englischen Gottesdienst. „Viele Leute, die neu nach Deutschland kommen, fühlen sich hier nicht zuhause, nicht akzeptiert“, sagt er. Auch ihm ging es damals so. Eine Messe auf einer Sprache, die man versteht, könne jedoch dabei helfen, sich zumindest ein bisschen mehr zuhause zu fühlen. In Schmalkalden fing er deshalb 2018 an, Teile der Sonntagsmesse auch auf Englisch zu übersetzen. Als ihn der Gemeindepfarrer Burmeister dann darum bat, Messen komplett auf Englisch anzubieten, freute sich Father Stanley und willigte ein.

Anfänglicher Kulturschock

Leere Bänke in der Sankt Marien Kirche in Meiningen.

Am Mittwochmorgen hält Father Stanley wieder eine Messe, dieses Mal in der Sankt Marien Kirche Meiningen und auf Deutsch. Der Kirchenraum ist weitaus weniger gefüllt. Sieben Gemeindemitglieder sind gekommen, ausschließlich Senioren und Seniorinnen. Sie sitzen über sechs Kirchenbänke verteilt. Nach der Messe verlassen alle sofort die Kirche. 

Kirche in Deutschland ist anders als in Nigeria. Das wurde Father Stanley schon vor seiner Ankunft in Deutschland gesagt. Aber trotzdem war er schockiert, als er sah, dass selbst manche Priester hier nicht vor dem Essen beten. Er beschreibt die Kirchen und Messen hier in Deutschland als „kalt“ und „trocken“. Kalt, weil die Kirchen abgeschlossen werden, wenn nicht gerade eine Messe darin gehalten wird. In Nigeria wäre das unvorstellbar.

Und trocken, weil hier in Deutschland nicht so viel los ist während der Messen. „In Nigeria singen und tanzen die Menschen in der Kirche und machen gemeinsam Musik“, erklärt Father Stanley. Der Glaube spiele dort eine wichtige Rolle im Leben der Menschen. Viele gehen täglich in die Kirche. Wenn Father Stanley von Nigeria erzählt, leuchten seine Augen und das Lächeln, das er eigentlich immer auf seinen Lippen trägt, wird noch breiter.

Father Stanley arbeitet seit 2018 als Kaplan in Meiningen und Umgebung

Zwischen Heimweh und Heimatgefühl

Als Priester in Deutschland lerne man aber auch viele Dinge, die man in Nigeria nicht lernen könne. Unabhängig zu sein, also selber zu kochen und seine eigene Wohnung zu putzen, zum Beispiel. In Nigeria, machen das andere Menschen. „Hier in Deutschland wird man daran erinnert, dass man eigentlich nur ein Diener Gottes ist“, fügt Father Stanley hinzu. In Nigeria würden Priester oft so sehr bewundert, dass manche eine gewisse Arroganz entwickelten, die er unangebracht findet. 

Father Stanley vermisst vieles aus seinem Heimatland. In einer Gesellschaft zu leben, in der er zur Mehrheit gehört, zum Beispiel. „Wenn ich hier in einer Gruppe von Menschen stehe, merke ich, dass ich anders bin“, erklärt er und fügt hinzu: „Manchmal habe ich dann das Gefühl, dass mich alle anschauen.” 

Trotzdem fühle er sich zuhause hier in Deutschland, sagt Father Stanley und lehnt dabei seinen Kopf nachdenklich zur Seite. Er lebt gerne in Meiningen und hat auch Kontakt zu Familien in der Umgebung knüpfen können, die ihn manchmal zum Abendessen einladen. Und er freue sich auch, wenn er diese dann wiederum bei sich einladen könne.  

“Keine Ausländer, sondern Brüder und Schwestern im Glauben”

Vor allem die internationale Messe bereite ihm viel Freude und zeige ihm, dass wir alle Kinder Gottes sind, egal woher wir kommen. „Dort sind wir keine Ausländer, sondern Brüder und Schwestern im Glauben“, erklärt Father Stanley. Er möchte, dass vor allem die internationalen Studierenden sich in diesen Messen zuhause fühlen und merken, dass sie hier akzeptiert werden. Und sie sollen auch das Gefühl bekommen, dass sie etwas zur Kirche beitragen können – zum Beispiel in Form von Musik oder eigenen Predigten. Auch Catharina Wassink, 60 Jahre, aus Venezuela sieht, wie gut das monatliche Treffen den Studierenden tut. Sie geht regelmäßig zur internationalen Messe und betreut viele der internationalen Studierenden.

Nach der internationalen Messe treffen sich alle Besucher und Besucherinnen im Gemeindehaus Sankt Helena, bei Tee, Kaffe und Kuchen. Alle sitzen versammelt um einen großen Tisch herum. Sie sprechen verschiedene Sprachen – Englisch, Spanisch, Hindi, manchmal Deutsch.

Einsatz für interkulturellen Austausch

Nach der internationalen Messe gibt es Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus

Father Stanleys Ziel ist es, interkulturellen Austausch zu schaffen „Ich möchte, dass die Deutschen sehen, dass wir Migranten nicht mit leeren Händen kommen“, erzählt er: „Wir sind nicht hier, um eine Bürde für Deutschland zu sein. Wir können auch etwas zum Land und zur Kirche beitragen und haben auch etwas zu bieten.“ Das müsse die Kirche und auch ihre Mitglieder erkennen, damit die Kirche in Deutschland eine Zukunft hat und wieder wachsen kann.

Aus diesem Grund habe er auch die Tochter eines jungen nigerianischen Ehepaars während einer Sonntagsmesse und nicht in einer separaten Messe getauft. „Ich wollte, dass die ganze Gemeinde bei der Taufe dieses Kindes dabei ist, weil es immer mein Ziel ist, zu zeigen, dass wir alle Kinder Gottes sind, egal welche Hautfarbe wir haben“, erklärt Father Stanley, „Die Taufe macht uns zu Kindern Gottes und deshalb sollte dieses Kind dort getauft werden, wo die Kinder Gottes zusammenkommen.”

Leider kommt dieses Engagement aber noch nicht bei allen einheimischen Gemeindemitgliedern an. Zur internationalen Messe von Father Stanley ist bis jetzt noch fast niemand außer den internationalen Studierenden und vereinzelten Deutschen gekommen. „Vielleicht liegt es daran, dass sie kein Englisch sprechen oder dass sie einfach keinen Kontakt zu den Ausländern haben wollen“, überlegt Father Stanley und das Lächeln weicht für einen Moment aus seinem Gesicht. Die genauen Gründe, wisse er aber nicht. Er habe oft versucht, Gemeindemitglieder zu den internationalen Messen einzuladen und auch angeboten, bei Sprachproblemen zu übersetzen. Father Stanley verliert aber nicht den Mut: „Ich denke, dass dieser interkulturelle Austausch mit der Zeit funktionieren kann“, sagt er, „ich bete dafür.” 

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