Holzbrett statt Federbett

 

Die Corona-Pandemie hat auch den Großdemonstrationen von Fridays for Future einen Strich durch die Rechnung gemacht. Trotzdem geht der Protest weiter. Mit einem Camp in Hamburgs Innenstadt – mit WLAN, Campingkocher und Europaletten.

 

„dasklimacamp” hat einen eigenen Hotspot. Lichterketten tauchen die Bretterbude in warmes, orangefarbenes Licht, Steckdosen hängen an Europaletten und Fritz-Cola-Kisten dienen als Sitzbank. Zwei Schlafsäcke liegen auf Europaletten. Nur ein paar hundert Meter weiter am Hamburger Hauptbahnhof schlafen Obdachlose in Decken gewickelt in den Ecken auf dem nackten Boden. Aber hier, auf dem Domplatz geht es um mehr als einen Schlafplatz: Um Protest. Und Klima.

Um einen improvisierten Tisch aus Holz und Clubmate-Kisten sitzen Marlene und Maia. “Mir ist kalt”, beschwert sich Maia. Ihre Jeans sind an den Knien aufgerissen. An die Kälte hat sie sich anscheinend noch nicht gewöhnt, obwohl sie schon seit sieben Monaten immer wieder im Camp übernachtet. Sie seien inzwischen öfter hier als zuhause, sagen die beiden. Maia sitzt mit einer Taschenlampe in der Ecke, Sie liest ein französisches Buch aus der Schule. Literatur für die 10. Klasse. Maia ist erst 15. Zuhause erlauben ihre Eltern nicht, dass sie lange am Handy ist. Aber hier, im Klimacamp von Fridays for Future, gelten andere Regeln. Die Eltern würden ihr vertrauen, dass sie auf sich selbst aufpassen könne”, erzählt Maia stolz. Marlene studiert Physik und Spanisch auf Lehramt. Auch sie versucht ihre Uni-Aufgaben zu machen, sitzt am Laptop. Sie kocht an diesem Abend. Vegan, versteht sich. Nudeln mit Chili sin Carne.

Früher laut, heute kalt

Noch vor zwei Jahren standen Maia und Marlene nicht weit entfernt am Jungfernstieg mit Tausenden anderen jungen Leuten. Der ganze Jungfernstieg war voller Menschen. Dicht an dicht gedrängt. Bis in die Mönckebergstraße und bis zum Gänsemarkt. “Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut.”

Fridays For Future ist eine 2018 entstandene Protestbewegung, die bis zur Corona-Pandemie mit Schulstreiks und Großdemonstrationen immer freitags für Aufmerksamkeit gesorgt hat.

Statt lauten Protesten geht es jetzt um ruhige Gespräche mit Interessenten – morgens innerhalb einer Stunde kommen zwei Leute vorbei und wollen wissen, was sie machen. Ein Mann fragt nach Plakaten.

Klimatagung in Hamburg

Maia ist die Einzige aus ihrer Klasse, die im Camp übernachtet. „Meine Mitschüler*innen finden das schon cool“, sagt sie und spricht den Gendergap mit. „Sie sagen dann immer: Du warst heute Nacht im Camp und kommst jetzt trotzdem zur Schule. Krass.“

„In der Corona-Pandemie ist es außerdem die einzige Möglichkeit, noch andere Menschen zu treffen und mal rauszukommen“, ergänzt Marlene noch.

Online beraten Experten gerade bei der 12. Deutschen Klimatagung, wie die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden könnte. Eine Forderung, die auch Maia und Marlene an die Politik haben und auf die sie mit dem Camp aufmerksam machen wollen. Die Stadt Hamburg ist Gastgeberin der Klimatagung. Auf der Website der Stadt steht: „Der Klimawandel wird auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie langfristig die dringlichste Herausforderung der Menschheit bleiben.”

Nach der Pandemie wieder Demos zu erwarten

Keine Großdemos, keine Schulstreiks und ein High-Tech-Protestcamp, an dem nur wenige Menschen stehen bleiben: Für Piotr Kocyba hat das Klimacamp von Fridays for Future aber trotzdem eine wichtige Bedeutung. „Eine Bewegung muss strukturell wachsen“, sagt  der Politikwissenschaftler von der TU Chemnitz. Das heißt, der Austausch und die dauerhafte Teilnahme seien ausschlaggebend für den Erfolg eines Protests. Bei Demonstration seien immer unterschiedliche Personen dabei, die engagierten sich aber nicht dauerhaft in dieser Bewegung. Solche Personen brauche es aber, um Proteste und Aktionen zu organisieren und somit die Forderungen durchzusetzen. Kocyba forscht zum Thema Protest- und Demonstrationsbewegungen, darunter auch Fridays for Future. Seine Beobachtung: Demonstrationen sind effizienter, wenn es darum geht, die Politik unter Druck zu setzten. Das funktioniert aber nur, wenn die innere Struktur einer Bewegung stabil ist. Dafür eigneten sich solche Camps. „Nach der Pandemie wird es sicherlich wieder Demos geben“, ist sich Kocyba sicher. Derzeit dominierten aber andere Themen wie die Corona-Pandemie die Medien und die Aufmerksamkeit.

Polizei schaut öfter vorbei als Interessenten

Nachts beschränken sich die Besucher im Camp auf Polizisten und Corona-Leugner. Zwei von ihnen stehen auf dem Platz und fragen offen heraus, was die zwei Mädchen von Corona halten.  Sie antworten , aber merken schnell, dass eine Diskussion wenig bringt. Sie gehen nicht auf Provokationen ein. Die Männer meinen, „die Mainstream-Medien waschen uns nur den Kopf, Corona ist nur ne Grippe, die jungen Leuten nichts ausmacht“. Darauf erwidert Maia den Grundsatz der gesamten Fridays-for-Future-Bewegung: „Wir sind auf der Seite der Wissenschaft“. Sehr ruhig und bestimmt tritt sie den zwei Männern gegenüber, von denen einer mindestens dreimal so alt ist wie sie.

„Ich bin Pressesprecherin, ich werde die Interviews nach dem vorgegebenen Leitfaden führen“, sagt sie später. Sie kennt ihre Aufgabe als Pressesprecherin gut und geht voll darin auf. Sie nimmt die Aufgabe wichtig.

Beim Essen erzählen sie, dass bisher nur ganz selten was passiert ist, dass Obdachlose sie einmal mit Eiern beworfen hätten, andere Leute hätten mal mit Glas nach ihnen geworfen. Unsicher fühlten sie sich trotzdem nicht. Was nicht so berauschend ist: die laute Plane, die bei Wind raschelt, die Kirchenglocken nebenan, die alle 15 Minuten ein lautes „Dong“ von sich geben. Bei Regen werden die Schlafsachen fast nass, oft rasen Krankenwagen vorbei. Ins Mikrofon erzählen will Maia das nicht.

Vor dem Schlafengehen packen die beiden ihre Wertsachen wie Laptop, Handy und Portemonnaie in den Schlafsack und lassen auch die Lichterkette in der Nacht an. Oft wurden da nämlich schon Sachen gestohlen, sagen sie. Am nächsten Morgen rollen sie ihre Schlafsäcke zusammen und fahren zurück nach Hause – nach Altona und Stellingen.

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