Hinter Klagemauern
Steigende Austritte, zu wenige Pfarrer und zahlreiche Skandale: Die katholische Kirche ist in Deutschland in einer tiefen Krise. Ein Gemeindeteam in Freiburg will dagegen halten, es einfach besser machen. Das Kirchenleben wird in Zukunft noch mehr von Ehrenamtlichen wie ihnen abhängen.
In Freiburg Herdern wird es langsam dunkel, im kleinen Supermarkt gegenüber vom Kirchplatz werden die letzten Auslagen mit dem Gemüse weggeräumt. Alles ruft nach Feierabend. Nur in der Kirche brennt noch ein Licht, es scheint schwach durch den offenen Seiteneingang hinaus auf den leeren Kirchplatz.
Vor dem Altar in der Pfarrgemeinde St. Urban haben sich Mitglieder des Gemeindeteams versammelt und klären die letzten Details für die Andacht ab. Heute Abend findet ein Abendimpuls zur Fastenzeit statt. „Seelenruhig“ haben sie diese
Veranstaltungsreihe genannt. Dabei ist es in der katholischen Kirche in Deutschland gerade alles andere als ruhig.
Brigitte König, Ekkehard Armbruster, Bernd Birkle und Myrta Ritter engagieren sich seit Jahren in der katholischen Kirchengemeinde im Norden von Freiburg. Das Team kennt hier viele Leute mit Namen. „Ach da kommt ja Frau Bing!“, ruft Brigitte König in die Runde und die anderen blicken zum Eingang. Während die 58-jährige Brigitte König vor dem Altar die Zettel für die Andacht verteilt, führt Myrta Ritter die Leute zum Platz. Für die Andacht sitzen alle im Altarraum.
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Klavier: Christa Bing; Stimme: Pfarrer Prestel
Engagement trotz Kritik
Es sind nur Gemurmel und die Schritte von festen Winterschuhen zu hören, sonst ist es still in der Kirche. Der Mittelgang wird nur durch das Leuchten von kleinen Teelichtern erhellt, sie leiten den Weg nach vorne in den Altarraum, vorbei an der Klagemauer. Die Klagemauer wurde für die Fastenzeit aufgestellt. Die Idee dazu hatte das Gemeindeteam der Pfarrei Bruder Klaus, die anderen Teams im Norden von Freiburg haben sich dem angeschlossen. Kleine Zettelchen mit Gedanken stecken zwischen den Steinen aus Pappe. Gedanken über die aktuelle Situation, das Leben ohne Gemeinschaft und in einer Pandemie. Sorgen, um die eigene Gesundheit und die der anderen. Die Angst vor der Ungewissheit.
“In der katholischen Kirche geht so manches schief”, sagt Ekkehard Armbruster (58). “Aber wenn wir uns jetzt nicht im Kleinen engagieren, was soll dann draus werden?“
Schmerzhafte Veränderung und beunruhigende Aussichten
Es sind mehr Leute als beim ersten Seelenruhig gekommen. Knapp 25 Personen. Das Gemeindeteam ist zufrieden damit. „Ich glaube man muss sich damit abfinden, dass Kirche mittlerweile auch in kleinen Gruppen ist“, meint die 61-jährige Myrta Ritter. Die steigende Austrittsrate macht auch vor dieser Seelsorgeeinheit keinen Halt. Die Zahlen im vergangenen Jahr verdeutlichen nur das, was allen hier schon bewusst war. 291 Austritte, 6 Eintritte. Bei fast 15.000 Mitgliedern insgesamt. Wieder wurde eine Höchstzahl an Austritten erreicht.
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Ohne Begegnung keine Gemeinschaft
Brigitte König tritt vor die Gläubigen, nimmt Blickkontakt zu den anderen Teammitglieder auf und nickt ihnen zu. Sie beginnt den Text eines Kirchenliedes vorzulesen, Singen ist noch verboten.
In der dritten Reihe, ein bisschen Abseits vom Geschehen, sitzt Pfarrer Frank Prestel. Der 47-jährige ist hier in der Zuschauerrolle. Seit der Zusammenlegung 2014 ist er außer für St. Urban noch für drei weitere Pfarreien zuständig. Ein Papier des Erzbistums Freiburg sieht sogar noch größere Kircheneinheiten vor. Ihm ist bewusst, welche Entwicklungen in der Kirche anstehen. Seine Aufgabe ändert sich. Prestel weiß, wie wichtig das Engagement der Ehrenamtlichen ist: „Ohne Begegnung verfällt eine Gruppierung, auch eine Kirche, es zerfällt jede Form von Gemeinschaft.“ Dennoch gebe ihm das Engagement der Ehrenamtlichen Zuversicht. Immer wieder beobachtet er, mit wie viel Leidenschaft diese Menschen für ihren Glauben und ihre Kirche einstehen.
Kirchengemeinde ist ein Stück Heimat
Die Kirche muss sich verändern, feste Gemeinden wird es nicht mehr geben. Dennoch soll die Kirche im Leben der Menschen stattfinden. Es wird ein Konzept entwickelt, die acht Freiburger Seelsorgeeinheiten zusammenzulegen. Ein leitender Pfarrer für 80.000 Katholiken. Es soll eine neue Form des kirchlichen Lebens stattfinden. Mit Knotenpunkten für Eucharistiefeiern und Möglichkeiten, auch vor Ort ein Leben in der Gemeinde stattfinden zu lassen. Und trotz der Planungen und der Einbindung der Gemeinden, machen sich die Ehrenamtlichen Sorgen, ob diese Veränderung funktionieren wird.
„Kirchengemeinde ist ja auch ein Stück Heimat, da hat man einen Pfarrer, eine Bezugsperson”, sagt Bernd Birkle. Der 52-Jährige ergänzt: “Ich muss ehrlich sagen, da habe ich schon ein bisschen Angst vor.”
Pfarrerschwund bedeutet, dass Ehrenamtliche mehr Verantwortung übernehmen müssen und nun selbst Angebote wie Seelenruhig organisieren sollen. Doch das ist nicht immer leicht. „Die machen das alle „professionell“, wir machen das als Amateure“, sagt Birkle. Brigitte König stimmt ihm zu. Sie hat schon früher in der Jugendarbeit Impulse organisiert, ihr ist das alles nicht so fremd. „Trotzdem schüttelt man sowas nicht einfach aus dem Ärmel“. Außerdem sei es nicht immer einfach, das Berufsleben und das Ehrenamt so miteinander zu vereinen, wie man es sich selber gerne wünschen würde. „Ich bin beruflich extrem eingespannt, da fand ich die drei Andachten schon herausfordernd“, sagt Gemeindemitglied und Rechtsanwalt Ekkehard Armbruster.
Zwischen Frustration und Unterstützung
Sorgen und Nöte. Die Ehrenamtlichen aus St. Urban fordern die Gemeinde auf, ein persönliches Zettelchen für die Klagemauer zu schreiben. Klickende Kugelschreiber kratzen auf Papier und unterbrechen die Stille. Auch das Team beschriftet ihre Zettel, denn Sorgen haben auch sie. Die, die sich mit voller Leidenschaft ehrenamtlich in der Kirche engagieren. Sie sind mit dem Verhalten der katholischen Kirche nicht einverstanden, es frustriert sie. Es müsse an den Grundfesten gerüttelt werden, da sind sie sich einig.
“Gerade mit den ganzen Missbrauchsfällen, da habe ich mich schon gefragt, wo ist meine Heimat? Ist die wirklich noch in der katholischen Kirche? Und dann habe ich mir gesagt JA! Und ich lasse mir meine Kirche nicht kaputt machen von irgendwelchen Bischöfen“, sagt Brigitte König. „Und deshalb bin ich da dabei.“
Nach der Andacht verteilt das Gemeindeteam frankierte Briefumschläge. Die Gläubigen werden aufgefordert, jemandem zu schreiben, einfach um zu zeigen „Ich bin für dich da“. Vor allem aber möchte das Team mit solchen Veranstaltungen zeigen: „Wir sind für euch da“. Und auch Pfarrer Prestel geht mit einem Umschlag nach Hause.