Traditionsclub ohne Heimat

Die Schließung der ZF-Arena stellt den Friedrichshafener Sport auf den Kopf. Deutschlands Rekordmeister im Volleyball steht ohne Spielstätte da. Die Stadt droht ihr sportliches Juwel zu verlieren – eine Lösung liegt Jahre entfernt.

Offiziell ist es ein Heimspiel für den VfB Friedrichshafen, doch die Stadt am Bodensee liegt hundert Kilometer entfernt. „Mit der Nummer Vierzehn… Lukas Maase!“, dröhnt es aus den Lautsprechern der „ratiopharm arena“. Die Halle ist dunkel, alle Lichter sind aus. Nur einzelne Scheinwerfer verfolgen Maase, der unter Feuer und Nebel aus dem Spielertunnel, vorbei an den Cheerleadern, aufs Feld eingelaufen kommt. Er klatscht seine Mitspieler ab, das Team steckt die Köpfe im Kreis zusammen und heizt sich ein. Der Gasgeruch der Pyrotechnik verteilt sich in der Arena. Die Anspannung ist den Spielern beider Teams anzusehen, schließlich ist es das Hinspiel des Viertelfinales der Volleyball Bundesliga Playoffs. „VfB! VfB! VfB!“ ruft der Stadionsprecher, die Häfler-Fans steigen mit ein und geben alles.

Trotzdem bleibt es in der Arena gespenstisch leise. Denn in der für mehr als 6.000 Zuschauer angelegten Halle sind nicht mal 300 Plätze besetzt. Eine Auslastung von fünf Prozent, und das nicht wegen Corona. Wenn gerade nicht Musik durch die Boxen schallt oder die Fans anfeuern, ist es still. Jedes Quietschen der Schuhe, jeder titschende Ball, jedes Klicken der Fotokameras ist zu hören. Erst in der Woche zuvor haben die Häfler in einem packenden Finale den Pokal des Deutschen Volleyball-Verbands gewonnen und sich somit wiederholt zum besten Team Deutschlands gekürt. Trotzdem spielen sie heute vor fast leeren Rängen und können nur auf die Unterstützung von sehr wenigen Fans zählen, die die Reise über hundert Kilometern vom Bodensee nach Neu-Ulm auf sich genommen haben.

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Schließung der ZF-Arena verursacht Chaos

Der VfB Friedrichshafen: Ein Lokalverein, der nicht in der eigenen Stadt spielt, ein deutscher Rekordmeister ohne Fans auf den Rängen. Schuld an der Situation ist die plötzliche Schließung der ZF-Arena Ende 2020. Über siebzehn Jahre war sie Trainings- und Heimspielstätte des VfB. In den 1960ern gebaut, wurde die ursprüngliche Messehalle Anfang der 2000er zur Sporthalle umgerüstet. Im Herbst 2020 kam der Schock: Wegen Bauschäden und drohender Einsturzgefahr des Daches musste die Halle von heute auf morgen geräumt werden. Seitdem steht die ZF-Arena, die in städtischer Hand ist, leer und darf nicht betreten werden.

Über die Zukunft der Halle entscheidet die Stadt – seit anderthalb Jahren aber herrscht Ungewissheit. Matthias Eckmann, Stadtrat der SPD und Mitglied des Kultur- und Sozialausschusses, erklärt das komplexe Verfahren: Zunächst müsse geprüft werden, ob ein Abriss wegen möglichem Denkmalschutz überhaupt infrage kommt – wenn das der Fall sein sollte, müssen Finanzierung und Bau einer neuen Halle geplant werden. Ein sich ziehender bürokratischer Vorgang, unter dem vor allem die ehemaligen Nutzer der ZF-Arena leiden.

Sportstunden müssen ausfallen – Stadt hat Lösungsvorschlag

Egal ob Abriss, Sanierung oder Neubau – das langsame Tempo der Stadtverwaltung und die problematischen Übergangslösungen betreffen nicht nur das Volleyballteam, sondern ebenso die Friedrichshafener Schulen. Die ZF-Arena war multifunktional im Einsatz und diente auch als Halle für den Schulsport. Seit ihrer Schließung stehen die Schulen in der Innenstadt vor Organisationsproblemen, da es in Friedrichshafen generell zu wenig Hallen gibt. Der Sportunterricht muss folglich verschoben werden oder ganz ausfallen.

Für die Schulen plane die Stadt Friedrichshafen eine möglichst schnelle und unkomplizierte Lösung, wie Matthias Eckmann erklärt. Der Lokalpolitiker musste sich in den vergangenen Jahren mit viel Frust seitens der Schulen herumschlagen. Im Gemeinderat wurde geplant, eine Luftträgerhalle in der Innenstadt zu errichten, ein entsprechender Vorschlag wird zurzeit geprüft. Sollte wie erwartet bei der Gemeinderatssitzung im April eine Mehrheit für das Vorhaben zustande kommen, könnte eine solche Kuppel zumindest das Schulsportproblem etwas entschärfen. Eckmann gibt sich zufrieden und ist froh, dass die Stadt schnell einen Lösungsvorschlag für die durch Corona ohnehin getroffenen Schülerinnen und Schüler auf den Weg bringen konnte.

Keine Lösung für Volleyballer in Sicht – Status als Identifikationsclub in Gefahr

„Für die Volleyballer kommt eine solche Option aber nicht infrage, dazu ist die Luftträgerhalle zu niedrig und die Fläche zu klein“, sagt Eckmann und zeigt auf die fast 13 Meter hohe Decke der ZF-Arena. Er weiß, dass dringend eine Lösung gefunden werden muss, da sich Verein und Stadt sonst weiter distanzieren.

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Als gebürtiger Häfler und Lokalpolitiker hängt auch Eckmann emotional an der Arena. Während seiner Schulzeit hatte er selbst Sportunterricht in der Halle. „Oft habe ich mit Freunden und Familie hier die Spiele angeschaut. Für kleine Kids bis zu vielen älteren VfB Fans war die ZF-Arena die Heimat des Sports in Friedrichshafen.“ Im Gedächtnis geblieben sind ihm besonders die Finalspiele und Meistertitel, die in der Arena gewonnen wurden. „Die Atmosphäre an solchen Spieltagen war unfassbar energiegeladen. Volles Haus, 4.000 Leute. Drinnen war es super laut, wurde rumgeschrien und getrommelt. Diesen Push für die Mannschaft kann man einfach durch nichts ersetzen“.

Aktuell ist die Situation eine andere: Statt Jubel vor Tausenden von Fans geht der Pokalsieg an der Stadt vorbei, erhält auch medial kaum Beachtung. Friedrichshafen, das Volleyball-Urgestein vom Bodensee, rutscht ins Abseits. Die Identifikation der Stadt mit dem VfB leidet unter der Heimatlosigkeit. „Ein Volleyballclub ohne Halle ist wie ein Ball ohne Luft“, schrieb der Verein Ende 2020 in seinen emotionalen Abschiedsworten an die ZF-Arena.

Auch für Angriffsspieler Lukas Maase und seine Teamkollegen ist die Lösung in Neu-Ulm alles andere als optimal: Durch den ständigen Wechsel zwischen Trainings- und Spielstätte verschlechtere sich die Leistung des Teams, so Maase. Der im Volleyball so wichtige „Heimvorteil“, die Spiele in gewohnter Umgebung vor heimischen Fans auszutragen, fällt für die Häfler komplett weg. Hinzu kommen wöchentlich lange Reisezeiten: Das Team legte im Februar allein für „Heimspiele“ eine Strecke von mehr als 600 Kilometern zurück.

Eine Frage von Prioritäten

Eine gemeinsame Lösung finden – das ist leichter gesagt als getan. SPD-Stadtrat Eckmann berichtet vom zeitlichen Druck: Die ungewisse Zukunft der ZF-Arena kostete die Stadt bereits bisher fast 1,5 Mio. Euro. Das zentrale Anliegen: Den Spielbetrieb des VfB aufrecht zu erhalten. Dabei steht die ZF-Arena laut Eckmann im Mittelpunkt eines entscheidenden Konflikts: „Es geht um die zentrale Frage, wie wir mit dem Spitzensport in Friedrichshafen in Zukunft umgehen wollen.“ Wie hoch ist der Stellenwert des Profi-Volleyballs in einer Stadt, die sportlich sonst nirgendwo oben mitspielt?

Hexenkessel: Die brodelnde Stimmung in der ZF-Arena motivierte die Häfler zu Bestleistungen – wie hier, 2015 gegen Berlin. (Fotos: Günter Kram)

Sanierung oder Abriss?

Eckmann hält – wie auch die meisten anderen Fraktionen im Stadtrat – den Bau einer neuen Halle für unumgänglich, wenn die Stadt Friedrichshafen weiter Heimat des Spitzensports sein will: „So schmerzhaft der Abriss für viele Häfler und auch für mich ist, müssen wir da nach vorne schauen und den modernen Ansprüchen gerecht werden.“ Ein Ingenieursgutachten kommt zu dem klaren Schluss: “Umfangreiche Schäden vorhanden, Verkehrssicherheit gefährdet.” Kosten für den Neubau: etwa 25-30 Mio. Euro. Aber ob ein Abriss überhaupt genehmigt wird, hängt momentan vom Regierungspräsidium in Tübingen ab, die den Denkmalschutz der Halle prüfen.

Selbst wenn: Die Konstruktion einer neuen Halle würde Jahre dauern und Millionen kosten – trotzdem sieht Eckmann darin eine einmalige Chance. „Wir haben die Möglichkeit, die Verbindung zwischen Verein und Stadt wieder herzustellen. Friedrichshafen braucht seinen Volleyball. Jedes Spiel volle Hütte, das wär’ schon was“, schwärmt er.

Nächtliche Wiederkehr

In Neu-Ulm trotten die Spieler nach einer bitteren Niederlage im Playoff-Match über den Parkplatz der Arena zum Mannschaftsbus. Dem Team stehen hundert Kilometer Heimreise bevor. „Wir brauchen nach dem Spiel immer ein bisschen Zeit, um runterzukommen“, schildert Maase. Ausreichend Ruhe haben die Spieler, während der Mannschaftsbus anderthalb Stunden durch die Nacht tuckert. Vorbei an den Apfelfeldern Baden-Württembergs und durch die kleinen Dörfer entlang der Schwäbischen Alb. Jedes Heimspiel bedeutet für die Häfler zwei intensive Tage in einer anderen Stadt, stundenlanges Busfahren und Übernachtungen im Hotel. Lange nach Mitternacht erreichen sie die Messe Friedrichshafen, von wo es für die übermüdeten Spieler nach Hause geht. Doch nur wenige Tage später treffen sie sich wieder genau hier, denn es geht zum Rückspiel an den Ammersee. Diesmal offiziell ein Auswärtsspiel.

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