Glaubenssache
Auf dem Kölner Ebertplatz will Katrin die Botschaft Gottes verteilen. Doch so richtig gut kommt das nicht an.
Vogelzwitschern und leises Blätterrauschen liegen in der frischen Luft. Dazwischen ein paar dünne, leicht verstimmte Gitarrenklänge. Gegen das Stimmengewirr auf dem Platz erklingt ein einfaches Lied. „Der Herr liebt dich“, singt ein junger Mann ins Mikrofon. Der Rest der sechzehnköpfigen, kulturell gemischten Gruppe kümmert sich derweil im Hintergrund um die Technik. Katrin steht im Schatten der raschelnden Bäume, in der Hand hält sie eine lilafarbene Nelke in der Hand. Sie geht auf einen Passanten zu. „Darf ich Ihnen eine Blume schenken?“, fragt sie freundlich. Der Mann schüttelt kaum merklich den Kopf und eilt weiter. Ohne sie anzusehen. Katrin kennt das schon: Ablehnung, Schweigen, Skepsis. Viele Passanten reagieren unfreundlich oder genervt auf Katrin und ihre Mitstreiter.
Katrin Z. ist 27 Jahre alt, hat Ingenieurwissenschaften studiert, lebt ein geordnetes Leben. Sie ist neutral gekleidet, heute trägt sie eine leicht rosafarbene Bluse und eine graue Jeans. Sie sticht mit ihrem unscheinbaren Look nicht aus der Masse heraus. Das, was sie von vielen anderen jungen Menschen unterscheidet, sieht man ihr nicht unbedingt an: Kathrin ist sehr gläubig, ihr Glaube bestimmt alles in ihrem Leben. Für sie ist das vor allem ein persönliches Gefühl. Sie brauche Gott, sagt sie. Mit 19 Jahren, nach einigen negativen Erfahrungen, fand sie Halt im Glauben. Das Gebet habe ihr geholfen, Enttäuschungen zu verarbeiten. Heute sagt sie: „Ich sehe das Gute in jedem Menschen.“ Ihr Wunsch ist es, genau diese Einstellung weiterzugeben und die Menschen zusammenzubringen. Deshalb erzählt sie anderen von ihrem Glauben – auch auf die Gefahr hin, auf Unverständnis zu stoßen.
Heute ist es wieder einmal so weit. Gemeinsam mit anderen Gläubigen steht sie unter den Bögen der Torburg in Köln. Sie singen und lassen sich dabei von Gitarre und Keyboard begleiten. Und sie laden die Passanten ein, die Liebe Jesu selbst zu erfahren. In ihren Händen halten sie kleine Geschenke, die sie an die Leute verteilen wollen: Blumen, Süßigkeiten, Postkarten mit Bibelversen.
Immer wieder versuchen die Gläubigen, die vorbeigehenden Passanten anzusprechen. Doch viele wechseln die Straßenseite, beschleunigen ihre Schritte oder weichen bewusst aus. Eine Mutter zieht ihr Kind hastig zur Seite, als ein Mitglied der Gruppe dem Kind einen bunten Ballon hinhält. Die Gläubigen stehen trotzdem da und lächeln. Skeptische Blicke und genervtes Abwinken, das kennen sie schon. Für viele Menschen scheint die Art der Glaubensverkündung der Gruppe eine Grenzüberschreitung zu sein. Religion, so wirkt es, gehört für sie in die Kirche – nicht auf den Bürgersteig.
Dabei geht es Katrin nicht um Druck: „Wir wollen niemandem etwas aufdrängen“, sagt sie ruhig, „wir wollen einladen.“ Ein Mann aus ihrer Gruppe pflichtet ihr bei: Man könne Jesus niemandem verkaufen, der ihn nicht selbstgespürt habe. Am Morgen hatten sie zusammen gebetet: um Stärke, um Mut, um eine klare Botschaft. Danach sind sie gemeinsam losgezogen, ausgestattet mit Postkarten und Materialien zum Verteilen. Unterstützt werden sie dabei von verschiedenen christlichen Organisationen. Jetzt stehen sie mitten in Köln. Sie haben auch zwei leere Stühle mitgebacht. Auf einem Schild dazwischen steht: „Ich bin Christ – hast du Fragen?“
Doch kaum jemand bleibt stehen, um sich auf den Stuhl zu setzen und ins Gespräch zu kommen. Passanten durchqueren das Viertel, ohne der Gruppe auch nur einen Blick zu schenken. Was die Passanten heute wollen: Sonne, Kaffee, Einkäufe. Was sie nicht wollen: Ein Gespräch über Gott, schon gar keine Einladung zur Umkehr.
Aber Katrin und ihre Freunde lassen sich davon nicht abschrecken. Sie singen weiter. Sie lächeln. Sie schenken Nelken. Und sie bleiben überzeugt: Ihre Botschaft ist wichtiger als der Moment des Unbehagens, den sie bei vielen auslösen. Katrin hält die Nelke fest in der Hand, ein kleines Zeichen ihrer Hoffnung, dass selbst ein flüchtiger Moment etwas verändern kann.