Filter-Café
Diverse Lockdowns haben die Gastronomiebranche hart getroffen. Von zwei Cafés, die die Pandemie nicht unterschiedlicher handhaben könnten: Social Media als Geschäftsantrieb und Risikovorbeugung durch vorübergehende Schließung.
Heiße Luft strömt mit einem lauten Rauschen in die Backstube, das Metall des Rosts schleift am Gewinde entlang. Die zwei großen Kuchenbleche klappern, als Christina Bongartz sie in den Ofen schiebt. Freitagmorgen in einer Backstube in Obersendling. Die Betreiberin des Schickschnack Ladencafés stellt gerade den vierten von 30 Kuchen in den Ofen, heute backt sie für das kommende Wochenende. Schnell noch eine Story davon für Instagram aufnehmen: “Boomerangs kommen irgendwie immer gut an”, sagt sie, während sie den Backofen wieder schließt. Die restlichen Formen sind bereits mit Backpapier ausgelegt und auf einem Regalbrett gestapelt. Der Tisch in der Mitte des Raums ist voller Mehl, kaputte Eierschalen liegen in einer Schüssel, ein großer Block Butter steht in einer blauen Plastiktüte, davor der Zucker. Neben der Spüle an der Wand türmen sich die Cromarganschüsseln, dazwischen liegen Teigschaber und Gläser. Fünf Minuten später sind alle Flächen wieder frei geräumt und sauber gewischt. Der nächste der vielen Kuchen ist an der Reihe.
„Das Risiko ist zu groß, ich habe auch eine Verantwortung für meine Mitarbeiter“, sagt Gerhard Knoller, Betreiber des Stadtcafés. Seit Anfang November 2020 ist sein Café geschlossen und wird vor Ostern auch nicht mehr öffnen.
Vor dem Stadtcafé am Sankt-Jakobs-Platz in der Münchener Innenstadt stehen gestapelte Tische und Stühle. Eine Frau hält im Vorbeigehen an und stellt ihre Handtasche auf einem der noch vom Regen nassen Stühle ab und zieht ihre Jacke aus. Die Sonne scheint. In den bodentiefen Fensterscheiben spiegeln sich der ansonsten menschenleere Platz und das Jüdische Museum. Von innen sind die Speisekarte sowie ein Schild, das Kaffee-ToGo-Verkauf anbietet, an das Glas geklebt. Sichtschutze, die von innen aufgestellt wurden, verhindern den tieferen Einblick. Drinnen wird renoviert.
Persönliche Nähe trotz Distanz
Es schneit und ist kalt an diesem Sonntag Mitte März. Dennoch wartet ein halbes Dutzend Leute vor dem “Schnickschnack” in Sendlingen. „Das Viertel ist nicht unbedingt der Anziehungsmagnet schlechthin“, sagt Café-Betreiberin Christina Bongartz. Aber niemand steht hier zufällig. Die Besitzerin des kleinen Ladens kennt ihre Kunden und Kundinnen fast alle persönlich. Fragt bei Eintritt nicht nur, wie es ihren Gästen geht, sondern auch gezielt nach Ereignissen aus deren Leben, von denen sie natürlich Bescheid weiß. Gar in sehr persönliche Gespräche wird hier in der kurzen Zeit getaucht, die es eben braucht, einen Kaffee zu machen, den Kuchen auszusuchen und einzupacken. Einige kommen schon vorbereitet mit ihren eigenen Aufbewahrungsdosen. Andere wissen auch schon bevor sie die Türschwelle übertreten, welches Stück Kuchen sie heute mitnehmen wollen.
Die Entscheidung, mehrere Monate geschlossen zu bleiben, bedeutet einen kompletten Einnahmeausfall für Knoller und das Stadtcafé. Andere Gastronomiebetriebe bieten zeitgleich Lieferung oder Abholservice an. Eine mögliche Öffnung der Außenbereiche ab dem 22.03. wurde aufgrund steigender Fallzahlen verschoben. „Der Inzidenzwert steigt immer weiter und es ist unklar, wie die Öffnung mit Vorzeigen von einem Corona-Test durchgeführt werden soll“, begründet der Café-Betreiber die aktuelle Schließung. Gerade über die Osterferien befürchte er einen zu großen Andrang, vor allem bei gutem Wetter. Fast ein Jahr Einkommensausfälle plus corona-bedingte Investitionen wie Spuckschutz, Masken und weitere Vorsichtsmaßnahmen „führen zu Frust, irgendwann“, sagt Gerhard Knoller. Zur Finanzierung des Cafés Ende vergangenen Jahres hat er einen Kredit aufgenommen, zusätzlich zu den Soforthilfen von November und Dezember, erzählt er. Die Zeit bis nach Ostern nutzt er für die Handwerksarbeiten im Inneren des Cafés.
Neuigkeiten
Das Schnickschnack Ladencafé gibt es erst seit Dezember 2019, wenige Monate vor dem ersten Lockdown. Den Großteil des Kundenstamms musste sie somit unter erschwerten Bedingungen aufbauen – ihr Instagram-Kanal spielte dabei eine wichtige Rolle. “Ungefähr 70% meiner Gäste sind über die sozialen Medien zu mir gekommen”, sagt Christina Bongartz. Durch regelmäßige Posts und Storys macht sie auf sich aufmerksam und lässt sie auch mal während einem Live-Video an ihrem Leben in der Backstube teilhaben. Für unentschlossene Besucher hat sie sich die Kuchenüberraschungsboxen ausgedacht. Sie verkauft außerdem Schmuck, Postkarten und andere Kleinigkeiten. “Ich könnte gar nicht still sitzen und nicht wissen, ob die Soforthilfen dann kommen”, sagt die Gastronomin, die sich gleichzeitig als immer auf der Suche nach Neuem beschreibt.
Neu ist im Stadtcafé vor allem die Wandfarbe. Unter Plastikfolien warten Sessel, Barhocker und Tische darauf, zur Öffnung wieder von Gästen besetzt zu werden. Die leeren Wasser- und Colaflaschen, die von den Handwerkern auf einem Sims abgestellt wurden, sollen nicht mehr die einzigen servierten Getränke bleiben. Allerdings erst, wenn sich die derzeitige Situation wieder entspannt hat. Als Gastronom könne man so viele Vorkehrungen treffen wie man wolle. “Letztendlich liegt es am Kunde. Der Verbraucher ist die Instanz der Verantwortung”, meint Gerhard Knoller.
Der Wecker von Christina Bongartz’ Smartphone klingelt, die nächsten Kuchen können in Kürze aus dem Backofen. Sie stellt den Alarm aus und legt es wieder zur Seite. Beruflich ist sie auf ihr Smartphone angewiesen. Privat setzt sie neuerdings aber auf den Retro-Look: “Da habe ich mittlerweile wieder ein Nokia Tastenhandy: super praktisch!”