ERFÜLLT

Leise, aber kraftvoll

Wer sorgt dafür, dass die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Tschechien gesichert ist? Der Präsident natürlich.

Petr Papoušek, Präsident der Jüdischen Gemeinschaft

Wie kommt man ins zweite Rathaus von Prag?

Das jüdische Rathaus ist von Außen nicht zu erkennen. Es liegt mitten in der Prager Altstadt und ist von Barockbauten umgeben. Zwischen edlen Boutiquen steht eine Synagoge aus Sandstein. Daneben steht das jüdische Rathaus von Prag. Vor der schweren Holztür stapelt sich ein muskelbepackter Schrank. Ausweis, Termin, Waffen? Es ist sofort klar: Außenstehende kommen hier nicht so einfach rein. Selbst mit Erlaubnis fühlt man sich mehr geduldet als willkommen. Frauen mit Perücken und Männer mit schwarzen Hüten und Korkenzieherlocken – eine Parallelgesellschaft, in die nur hineingeboren wird, wer Mitglied ist: in die jüdische Gemeinde.

Wie wird man Präsident des Verbandes der jüdischen Gemeinschaft?

Der Mann, der für die zehn jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik mit ihren fast 3000 Mitgliedern zuständig ist, heißt Petr Papoušek. Er ist schlaksig, sitzt lässig in T-Shirt und Turnschuhen im Sessel seines Büros und wirkt zu jung für sein Amt. Nur die Kippa auf seinem Kopf erinnert an seine Religion. Präsident des Verbands der jüdischen Gemeinden ist der Titel, den der heute 46-Jährige übernommen hat: „Ich hatte keine Ahnung, wie mein Job aussehen würde“. An den Wänden hängen Ölgemälde, schwere Vorhänge schirmen die Außenwelt ab und hinter einer Glasvitrine sind tschechische, hebräische und englische Bücher aufgereiht. Der Titel des einen ist selbsterklärend: „Wie man ein guter Jude ist“. Das klingt nach einem einfachen Leitfaden für die älteste monotheistische Religion der Welt.
Petr wurde in den historischen Straßen von Olomouc geboren. Die Verbindung zu seiner jüdischen Identität fand er nach dem Fall des kommunistischen Regimes 1989. Während seines Studiums an der Wirtschaftsfakultät beschloss er, diese Bindung weiter zu vertiefen. Ein Studienjahr an der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel öffnete ihm die Türen zu einer Welt voller Kultur, Geschichte und gelebtem Glauben: „Meine Beziehung zu Gott ist sehr persönlich. Es gibt mehr Möglichkeiten, die Heilige Schrift zu interpretieren.“ Petr bezeichnet sich selbst als modernen orthodoxen Juden. Dennoch betont er, dass der jüdische Glaube niemanden ausschließt: „Jede Gemeinschaft hat andere Regeln, aber wir schließen uns niemandem aus.“

Jung, idealistisch, bereit für die große Bühne?

Petrs Stimme ist leise, aber kraftvoll. Fast wie das jüdische Leben in der Tschechischen Republik selbst. Von zehn Millionen Tschechen gehören nur 3000 dem jüdischen Glauben an. Petr setzt sich dafür ein, dass sie nicht zum Schweigen gebracht werden. Etwa 300 von ihnen gehören zu den Überlebenden des Holocaust in der Tschechischen Republik. Damit Geschichten wie diese nicht verloren gehen, steht Petr in ständigem Kontakt mit Politikern: „Wir brauchen Geld für Synagogen, für Museen, für Möglichkeiten, jüdisches Leben in der Zukunft zu erhalten.“ Dies sei eine der größten Herausforderungen für Petr, sagt er.
2004 tritt Petr der Jüdischen Föderation bei, als er zum Präsidenten der Jüdischen Gemeinde in Olomouc gewählt wird. Acht Jahre später ist er Präsident der Föderation. Ein steiler Aufstieg. Unter seiner Führung gewinnt die jüdische Gemeinde an Stärke und Einfluss. Doch Petr setzt sich nicht nur für seine jüdischen Brüder und Schwestern in der Tschechischen Republik ein. Als Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses und Mitglied des Exekutivausschusses des Europäischen Jüdischen Kongresses setzt er sich für die Interessen der kleinen jüdischen Gemeinden auf globaler Ebene ein. Ist es möglich, bei so viel Arbeit und Verantwortung eine gesunde Work-Life-Balance zu haben? Petr muss lachen: „Da müssen Sie meine Frau fragen.“ Obwohl der Job glamourös klingt, ist der Arbeitsalltag alles andere als „präsidial“. „Manchmal fange ich damit an, den Müll in der Gemeinde Olomouc wegzubringen, manchmal habe ich Treffen mit dem tschechischen Premierminister.“

Zukunft trifft Vergangenheit, wie geht es weiter?

Das wichtigste Ziel für Petr? Die Erhaltung der jüdischen Gemeinden und Traditionen, sagt er. Aber das 21. Jahrhundert ist für jeden Glauben hart, sagt er. Die Zukunft macht keinen Unterschied zwischen den verschiedenen religiösen Bewegungen. Wie soll eine jahrtausendealte Geschichte mit künstlicher Intelligenz und sinkenden Mitgliederzahlen mithalten? „Es würde schon reichen, wenn jüdische Familien ihre Kinder im jüdischen Glauben und mit jüdischen Traditionen erziehen würden“, sagt Petr.
Er ist nicht nur ein Mann der Vergangenheit, sondern auch ein Mann der Zukunft. Seine Bemühungen um die Holocaust-Erziehung und -Erinnerung sowie sein Engagement für die Jugend und die Bildung zeigen seine Entschlossenheit, die Geschichte lebendig zu halten und gleichzeitig eine Brücke in eine hoffnungsvolle Zukunft zu schlagen: „Wir wollen die jüdische Identität für künftige Generationen bewahren.“ Bei all seinen beruflichen Erfolgen und Zielen bleibt er als Ehemann und Vater zweier Kinder auch im Familienleben verwurzelt.
Petr Papoušek hat in seinen jungen Jahren schon viel erreicht und er hat noch viele Ziele für die Zukunft: „Wir wollen, dass unsere Gemeinden das jüdische Leben erhalten, vielleicht sogar wachsen, damit das friedliche Zusammenleben weitergeht.“ In der Synagoge nebenan scheint der Gottesdienst gerade zu Ende gegangen zu sein. Neben vielen älteren Juden rennen zwei kleine Kinder über den Bürgersteig aus dem Gebäude. So wie es vor Jahrhunderten war, so wird es auch in Zukunft sein.

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