Endlich stolz auf Afro-Locken

Als Teenager fand Stephen Abebrese niemanden, der ihm gut die Locken schneidet. Heute gibt er seine Haar-Expertise an die nächste Generation Schwarzer Deutscher weiter.

An den Wänden hängen etliche Bilder von Schwarzen Frisuren: Bantu Knots, Corn Rows, Afros. „Das hier ist meine Kunst“, sagt Stephen Abebrese, 45, und zeigt auf die Zick-Zack-Linie, die er gerade einem Kunden in den Nacken rasiert. Sein Trimmgerät surrt, vier weitere liegen bereit. Puppenköpfe, an denen Friseure Haareflechten üben, stehen auf den Schränken. Ein Ghana-Fähnchen flattert im Ventilator-Wind. Aus einem Lautsprecher schallt Pop und Afrobeats. Es riecht nach Kaffee und Haarprodukten aus Kokosöl und Sheabutter.

Vor zwanzig Jahren hat Abebrese den kleinen Shop UrbanSparkz in Berlin-Neukölln eröffnet. Zuerst hat er dort Streetwear und Hip-Hop geprägte Klamotten verkauft, die er aus den USA importiert hat. 2006 habe er seine Ausbildung als Friseur abgeschlossen, erzählt er. Seitdem schneidet er in seinem Laden auch Haare. Anfang der Nullerjahre hat es in Deutschland nur wenige Friseure gegeben, die auf Afro-Haare spezialisiert waren. „Mit 12 oder 13 habe ich angefangen, meine Haare selbst zu schneiden“, erzählt Abebrese, während er die Koteletten seines Kunden begutachtet. Dann greift er für den Feinschliff zu einem feineren Rasierer. „Ich habe viel an mir selbst geübt. Wenn es mal schlecht wurde, habe ich zwei Wochen eine Mütze getragen“, sagt er und lacht.

Gegen Mittag wird es immer voller in dem winzigen Geschäft mit zwei Friseurstühlen. Junge und ältere Männer kommen herein, um sich die Haare von Abebrese und seinem Kollegen schneiden zu lassen. „Ich komme hier jeden Monat her, seitdem ich vier bin“, erzählt der zwölfjährige Jake, der sich gerade die Seiten hat auffrischen lassen. Ein anderer Kunde ist schon seit zehn Jahren mit dabei: „Vorher war ich bei arabischen, deutschen und vietnamesischen Barbern. Alle wussten nichts mit meinen Locken anzufangen“, erzählt der 27-Jährige. An seiner Schule gab es nur einen einzigen Schwarzen Jungen außer ihm. „Ich wollte natürlich sein wie die anderen.“ Einmal habe er sogar einen Relaxer gekauft, ein chemisches Mittel, das seine Haare dauerhaft glätten sollte. Sein Freund habe ihn schließlich zu Abebreses Salon geführt. „Erst durch Stephen habe ich angefangen, mich wirklich um meine Haare zu kümmern.“, sagt er. 

Inzwischen kämen auch einige weiße Menschen in seinen Salon und fragen nach Cornrows oder Bantu Knots, erzählt Abebrese. Er weist sie nicht zurück. „Dass sie uns für unsere Haare ausgelacht haben, ist ihr Problem, nicht unseres”, sagt er. „Niemand nimmt mir etwas weg, indem ich teile.“

Draußen fängt es an, wärmer zu werden. Der Ventilator bläst kühle Luft durch den Raum, ein Vater kommt mit seinem Sohn in den Salon. Der knapp zwei Jahre alte Legend spielt auf dem Handy seines Vaters, während er darauf wartet, an der Reihe zu sein. Ein älterer Herr kommt herein und nimmt sich einen Energy-Drink aus dem Kühlschrank, bevor er sich setzt. Statt einem Wartebereich hat Stephens Salon nur eine gepolsterte Bank an der Wand. Da muss man dann auch mal kuscheln.

Ein Kunde erzählt, dass er auch schon mal drei Stunden hier gewartet habe. Es gibt inzwischen zwar mehr Afro-Friseure, aber auch die Nachfrage ist gewachsen. „Früher habe ich viele Schwarze mit verfilzten oder falsch gepflegten Haaren gesehen“, sagt Abebrese. „Heute achten die Jungs mehr drauf.“  Auch in den Medien gäbe es jetzt mehr Vorbilder. „Die Kids kommen jetzt her und zeigen mir Bilder von den Frisuren, die sie wollen“, sagt Abebrese. Der zwölfjährige Jake kann das bestätigen: „Ich bin stolz auf meine Locken“, sagt er, bevor er mit seiner blonden Mutter den Salon verlässt. Abebrese, der hier eigentlich nur steht, weil ihm früher keiner die Haare machen konnte, schnippelt und rasiert weiter. Währenddessen quatschen seine Kunden über den nächsten Urlaub bei Verwandten: auf Deutsch, Englisch und Twi.

Die JONA ist das Journalismus-Stipendium

Wir bilden Euch zu Journalisten aus – und das neben dem Studium! Bewirb Dich um ein Stipendium der Journalistischen Nachwuchsförderung der KAS. Derzeit fördern wir etwa 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz Deutschland. Diese können an tollen Journalismus-Seminaren teilnehmen und werden zusätzlich sogar finanziell gefördert. Infos zur Bewerbung findest Du auf unserer Seite und auf Instagram.

Mehr erfahren