Ein Mann, der durchhält

Wenn Peter Wolff mit seinen Schallplatten auf dem Flohmarkt steht, sind Dauerregen und kühler Wind bei Weitem nicht seine größte Sorge. Viel mehr beschäftigt ihn die Veränderung der Musikszene: Technische Voraussetzungen ändern sich, Spotify und andere Musikstreamingplattformen ersetzen Rekorder und Plattenspieler. Was macht das mit Sammlern und Schallplattenliebhabern? 

Dicke Tropfen prasseln auf das dünne Dach des grauen Pavillons. Peter Wolff blickt auf seine Ware. „Blöd für die Platten, dass es regnet“. Am dritten Samstag jeden Monats steht er auf dem Flohmarkt in der Bonner Rheinaue. Obwohl es den ganzen Morgen durchgängig geregnet hat und keine Besserung in Sicht ist, sind schon morgens viele Besucher unterwegs. Frauen, Männer und Kinder suchen auf einem der größten Flohmärkte Deutschlands nach versteckten Schätzen. Einige von ihnen halten auch am Stand von Peter Wolff. Versteckt unter Regenschirmen, in Ponchos oder eingemummelt in Regenjacken durchstöbern sie Peters Sammlung, nehmen interessiert immer wieder eine Platte nach der anderen aus der Kiste.

Peter ist 71 Jahre alt. Er trägt eine blaue Jeans, Turnschuhe und eine graue Cap. Über seiner Oberlippe ein dicker grauer Schnäuzer. Eine orange Regenjacke hält ihn über einem braunen Fleece warm und trocken. Vor ihm reiht sich auf Bierbänken eine bunte Kiste voller gebrauchter Schallplatten neben die andere. Alle randvoll und sorgfältig nach Genre sortiert: Reggae, Disco, Soul, Pop, Rock, Hardrock, Electronic. 

Der Flohmarkt ist für ihn eine langjährige Tradition geworden. “Wir sind jetzt bestimmt schon 20 Jahre hier dabei“.

Noch immer prasselt der Regen auf den Pavillon. “Wir ziehen das durch, auch wenn schlechtes Wetter ist. Das gehört dazu. Wir wollen ja, dass der Markt erhalten bleibt. Wenn jeder bei schlechtem Wetter kneift, ist der Markt kaputt”. Besonders ein Kunde, der seine persönliche Sammlung gerade um eine neue Platte erweitert hat, freut sich darüber: “Bester Mann, er ist wirklich bei jedem Wetter hier. Ich bin regelmäßig da, stehe auch mindestens einmal hier an dem Stand. Seine Platten sind immer im besten Zustand”.

Den Schallplattenverkauf macht Peter “privat, als Sammler, als Liebhaber”. Um das Geschäft geht es dem gelernten Architekten nicht. Für ihn ist es “rein aus Interesse, als Hobby”. Für den Rentner läuft es “mal besser, mal schlechter, aber ich mache das nicht wegen des Geldes.” Dass es oft weniger gut läuft, liegt daran, dass Streaming-Plattformen wie Spotify den Rekorder, das Radio und besonders den Plattenspieler immer weiter verdrängen. “Natürlich ist das nicht mehr so die Masse, auch vom Verkauf, weil die Älteren, die damit aufgewachsen sind, langsam wegsterben.“ Aber Peter ist trotzdem optimistisch: „Schallplatten sind nach wie vor im Trend. Die junge Generation interessiert sich dafür. Die Jüngeren rücken jetzt nach.”

Die Musik begleitet Peter schon immer: “Ich habe in meinem 17. Lebensjahr angefangen, Bass zu spielen, habe ein Leben lang in Bands gespielt und mich mit Musik beschäftigt. Ich war Jugendlicher in den 60er-Jahren und habe im Prinzip die Beatles und die ganze Entwicklung von Beat- und Rock-Musik miterlebt”. Durch seine langjährige Verbundenheit zur Musik hat Peter in den letzten Jahren eine starke Veränderung der Szene festgestellt. Das geht für ihn auch voll in Ordnung. “Die nachrückenden Generationen sind ja auch anders. Da muss man ihnen ein Zugeständnis machen. Sie haben ein Recht, sich zu entwickeln, wie sie wollen”. Peter hat die Musik früher allerdings wesentlich besser gefallen. “Musikmäßig fand ich die 70er-Jahre am besten. Da haben sich die tollsten Rockbands formiert. Da war die Musik handmade, live gespielt. Es wurde nicht so viel im Studio rumgetrickst”. Das ist heute anders. Peter vermisst die Handarbeit. “Heute können leider auch Leute, die musikalisch nicht gut sind, durch die Technik alles ausgleichen. Instrumental kann man heute in Studios sehr viel tricksen”.

Auf diese neue Art Musik zu machen, möchte Peter sich nicht einlassen. Viel lieber hört er in die alten Vinyls rein. “Ich habe eine private Schallplattensammlung von circa 15.000 LPs und 15.000 Singles. Ich habe ein riesiges Atelier nur mit Schallplatten. Meine eigene Sammlung verkaufe ich nicht, jedenfalls habe ich das nicht vor, solange ich noch lebe. Ich möchte die ja auch noch genießen und hören. Das ist mein Musikreich”. Dieses Reich wird er auch trotz regelmäßiger Flohmarktbesuche so schnell nicht hergeben. Er braucht das Knarzen des Plattenspielers, die Klänge handgemachter Musik. Vom Wandel der Musik lässt er sich nicht unterdrücken, steht auch beim nächsten Mal mit seinen Schätzen auf dem Flohmarkt und versucht, der nachfolgenden Generation die Begeisterung an der Schallplatte weiterzugeben.

Die JONA ist das Journalismus-Stipendium

Wir bilden Euch zu Journalisten aus – und das neben dem Studium! Bewirb Dich um ein Stipendium der Journalistischen Nachwuchsförderung der KAS. Derzeit fördern wir etwa 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz Deutschland. Diese können an tollen Journalismus-Seminaren teilnehmen und werden zusätzlich sogar finanziell gefördert. Infos zur Bewerbung findest Du auf unserer Seite und auf Instagram.

Mehr erfahren