Der Mann hinter der Stimme
Der Mann hinter der Stimme
Igors Konzertsäle sind die Straßen Deutschlands. Er ist Opernsänger. Viele gehen an Straßenmusikern wie ihm vorbei. Manche geben Geld. Aber was steckt hinter der Stimme der Straße?
Fahrräder jagen über das Kopfsteinpflaster vor der Apostelkirche am Neumarkt. Ihre Ankunft wird lange vor ihrem Erscheinen durch das Rattern auf dem unebenen Boden angekündigt. Es regnet und es ist winterlich, windig und grau. Familien schlingen ihre Jacken enger um sich.
Inmitten des Platzes erklingt „Sway“ von Michael Bublé – wiedergegeben von einer kräftigen Opernstimme. Ein kleines Mädchen bittet ihre Mutter um Geld. Sobald das Metallstück in der Plastikschüssel erklingt, ertönt ein laut gesungenes „DankeschöÖön“. Das Mädchen lacht und springt im Hopserlauf an die Hand ihrer Mutter.
In Köln ist das Musizieren auf öffentlichen Plätzen geduldet, ohne dass man eine Anmeldung braucht. In anderen Städten sieht das strenger aus: In München müssen die Künstler zuvor im Rathaus vorspielen. Zudem muss der Spielort jede Stunde gewechselt werden. Die Stadt gibt außerdem vor, dass das Spiel für 15 Minuten unterbrochen werden muss, sobald die Glocken auf dem Marienplatz läuten.
In Köln schlagen nun die Kirchenglocken der Apostelkirche. Von der unfassbaren Lautstärke, die auf dem kleinen Platz erschallt, lässt Igor sich nicht beirren. Er singt alle zwölf Schläge durch. Mit jedem Schlag wird seine Stimme kraftvoller.
In Köln gibt es viele Straßenmusikanten. Denn hier sind die Regeln lockerer: „Straßenmusik (darf) in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde in einer Lautstärke dargeboten werden, die unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt. Die zweite Hälfte jeder vollen Stunde ist spielfrei zu halten.“
Zudem müssen die Künstler den Standort nach jeder „Darbietung“ wechseln. Wenn sie den Ort einmal verlassen haben, dürfen sie allerdings nicht mehr dorthin zurückkommen, zumindest nicht am selben Tag.
Inzwischen stimmt Igor ein neues Lied an: “Bella Ciao”. Einige bleiben stehen, schauen zu, horchen, klatschen, gehen weiter. Andere lassen im Vorbeigehen Geldstücke in die Plastikschüssel fallen, die zu seinen Füßen steht. „DankeschöÖön!“
Der Sänger wurde in Nischni Nowgorod, einer Großstadt im Westen Russlands, geboren und kam 2001 nach Deutschland. Zuerst sang er, wie heute, auf der Straße, um Geld zu verdienen. Nach einem Vorsingen 2002 bekam er im Opernchor Bonn eine Vertretungsstelle als Tenor angeboten. Er sang trotzdem weiter auf der Straße. Nach sieben Jahren wurde ihm gekündigt. Seitdem singt er nur noch in Innenstädten und verdient so seinen Lebensunterhalt. Es sei schwierig in Deutschland eine Stelle in den Opernhäusern zu finden, weil die Konkurrenz so groß sei.
Dass Igor heute in Köln singt, ist für ihn lukrativ. „Doch nicht immer gibt es in Köln gutes Geld“, sagt er. In Bonn seien die Menschen spendabler. Trotzdem liebe er Köln. „In dieser Stadt gibt es viele gute Leute mit guter Laune und viel Lächeln. Das erweckt immer den Eindruck, als wäre es ein Feiertag.“
Nachdem er „Katjuscha“ beendet hat, muss er weiterziehen. Er geht Richtung Breite Straße, um sich einen neuen Platz zu suchen, wo er singen kann. “Hier auf den Straßen habe ich mir meine eigene musikalische Nische geschaffen”, sagt er.