Der Ingenieur, der hier keiner sein darf
Alvero ist Bauingenieur – eigentlich. Aber sein Abschluss aus Kolumbien wird in Deutschland nicht anerkannt. Mit viel Anstrengung hat er ein erfolgreiches Lebensmittelgeschäft aufgebaut. Reicht das, um sich in Deutschland zuhause zu fühlen?
,,Soll ich dir einen Kaffee machen?“, fragt Alvero direkt, obwohl der Kunde sich eigentlich nur über das Modell der Kaffeemaschine informieren will. Mit leicht gebückter Haltung steht Alvero hinter dem Tresen, zieht die Augenbrauen nach oben und wartet auf eine Antwort. Von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends steht er in seinem kleinen Geschäft an der Ecke und berät seine Kunden abwechselnd auf deutsch und spanisch – seit 20 Jahren, jeden Tag.
Alvero kommt aus Kolumbien und hat grau-schwarze Locken. Er trägt Turnschuhe, Jeans und eine schwarze Jacke von Jack Wolfskin. Quer über seiner Schulter hängt ein Mochila Wayuu, eine von Indigenen geknüpfte Tasche. Sie kommt aus Kolumbien, so wie Alvero selbst. Seit 20 Jahren lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern in Bonn.
Aus den Lautsprechern in seinem Laden klingt lateinamerikanische Musik. Cumbia, Vallenato, Salsa – die Musikstile, die Alvero am liebsten mag. Dann läuft der Song Watermelon Sugar von Harry Styles. Die Musik hier ist so unterschiedlich wie Alveros Kunden. ,,Davon sind 50 Prozent Deutsche, 50 Prozent Latinos“, stellt Alvero fest. Einige seien Stammkunden, die er schon lange kenne. Andere hätten Südamerika durch das Reisen kennengelernt. Alvero steckt viel Arbeit in sein gut besuchtes Geschäft. Er pflegt den Kontakt mit seiner Stammkundschaft und kümmert sich auch um neue Kunden.
Der Laden läuft gut, aber so ganz erfüllt ihn das Geschäft nicht. Sein eigentlicher Traum ist es, als Bauingenieur in Deutschland zu arbeiten. Dazu müsste aber erstmal sein Abschluss aus Kolumbien anerkannt werden. Das sei fundamental für eine gelungene und nachhaltige Integration, denn nur wer von seiner Arbeit erfüllt sei, könne in Deutschland dauerhaft glücklich sein.
Tatsächlich werden im Ausland erworbene Abschlüsse hierzulande nicht immer anerkannt. Für Fachkräfte wie Alvero ist es nur durch ein langwieriges Anerkennungsverfahren möglich, ihre beruflichen Qualifikationen auf Gleichwertigkeit mit dem deutschen Äquivalent zu überprüfen. Unterschiedliche und intransparente Verfahren erschweren allerdings die Bewertung der bereits im Ausland erworbenen Qualifikationen. Dabei sucht Deutschland händeringend nach gut ausgebildeten Fachkräften wie zum Beispiel Ingenieuren.
„Die Selbstständigkeit mit meinem Lebensmittelladen war der einzige Weg für mich in Deutschland“, erklärt Alvaro. Seine wahre Berufung aber ist es, Ingenieur zu sein. Deshalb überlegt er jetzt, mit seiner Familie auszuwandern – dorthin, wo seine Fähigkeiten wertgeschätzt werden.