AKZEPTIERT

Chancen für die Ehe für Alle in Tschechien

Die Akzeptanz gegenüber queeren Menschen wächst in Tschechien. Trotzdem dürfen homosexuelle Paare noch immer nicht heiraten. Derzeit diskutiert das Parlament über zwei sehr gegensätzliche Gesetzesänderungen: Ein Entwurf will den Weg für die Ehe für Alle ebnen, ein anderer will die Ehe zwischen Frau und Mann in der Verfassung schützen. Tomas und Ondrej sind seit knapp sechs Jahren ein Paar. Sie sind jung, verliebt – und irgendwann auch glücklich verheiratet?

„Tomas ist sehr lieb, lacht viel, arbeitet hart und versucht immer, das Beste in Menschen zu finden. Er ist hilfsbereit, was mal eine gute und mal eine schlechte Sache ist, weil er sich selbst dabei manchmal vergisst.“

Ondrej und Tomas

„Ondrej ist sehr klug und sensibel. Er steht immer für andere Menschen ein, ohne zu vergessen, sich selbst an erste Stelle zu setzen. Und er kann gut kochen.“

So beschreiben sich Tomas und Ondrej gegenseitig. Die beiden jungen Tschechen sind seit knapp sechs Jahren ein Paar. Kennengelernt haben sie sich 2017 während ihres Bachelorstudiums in Großbritannien. „Wir waren alleine in einem anderen Land. Ondrej war mein sicherer Hafen“, erzählt Tomas. Aus Freundschaft wurde Liebe. Später zogen sie gemeinsam nach Prag. Sie machen zusammen Sport, reisen, spielen Karten, diskutieren über gesellschaftliche Themen. Seit diesem Jahr leben sie in einer gemeinsamen Wohnung. Tomas und Ondrej sind ein ganz normales, vertrautes und verliebtes Paar. Noch sind sie sehr jung, Ondrej ist 25, Tomas 26. Für eine Hochzeit gibt es noch keine Pläne, „aber wir wollen die Möglichkeit dafür haben“, sagt Tomas. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen in Tschechien nicht heiraten.  

An diesem Sommerabend sitzen die beiden bei im efeubewachsenen Innenhof einer ehemaligen Kaserne in Prag. Es wimmelt von jungen Menschen, die auf gelben Liegestühlen und Holzbänken Bier und Wein aus den verschiedenen Bars trinken, die sich hier mittlerweile befinden. Auf einer kleinen Bühne spielt eine Jazzband. Tomas und Olej sind große, sportliche junge Männer, mit kurzen braunen Haaren und herzlichem Lächeln.  Heute tragen beide ein kariertes blaues Hemd. „Zufall“ sagen sie – und müssen über den Partnerlook lachen. Sie kommen gerne hierher, es sei ein queer-freundlicher Ort.

Tomas, der aus einer Kleinstadt in Westtschechien kommt, wurde in seiner Schulzeit wegen seiner Sexualität gemobbt. Hier in Prag fühle er sich sicherer, auch wenn es manchmal blöde Blicke gebe, beispielsweise wenn sie Hand in Hand spazieren. Tomas ist ein ruhiger Mann mit klaren Worten. Er outete sich gegenüber seinen Eltern, als er bereits mit Ondrej zusammen war. „Ich wollte mein Glück mit ihnen teilen. Es war eine positive Erfahrung“, erzählt er.

Ondrej hat ein verschmitztes Lächeln, beim Diskutieren gestikuliert er mit seinen Händen. Er ist in der Nähe von Prag, in einer sehr „weltoffenen Gegend“, aufgewachsen: „Ich hatte einen schwulen Lehrer in der Schule, meine Mutter hatte schwule Freunde. Ich war da in einer Blase und das Coming Out war nicht so schwer für mich“.

Die Akzeptanz für LGBTQ+ steigt in Tschechien

Das Paar hat das Gefühl, das die Akzeptanz von LGBTQ+ in Tschechien in den letzten Jahren, besonders unter jungen Menschen, gestiegen ist. Nach einer Umfrage des Zentrums für Meinungsforschung (CVVM) im Frühjahr 2023 befürworten 58 Prozent der Tschech*innen die Ehe für alle und 77 Prozent der Teilnehmer sprechen sich dafür aus, dass Lesben und Schwule die Kinder ihrer Partner*innen adoptieren dürfen.

Die Gründe für diesen gesellschaftlichen Wandel könnten unter anderem die Sozialen Medien, geringe Religiosität in der Gesellschaft und die Orientierung an anderen europäischen Staaten sein. Was bleibt, ist die strukturelle Benachteiligung. Seit 2006 können sich homosexuelle Paare für eine eingetragene Partnerschaft registrieren lassen. Diese unterscheidet sich von der Ehe. So dürfen gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder adoptieren oder rechtliche Verantwortung für das Kind des Ehepartners oder der Ehepartner*in übernehmen. Sie haben kein Recht auf eine Gütergemeinschaft, keinen Anspruch auf Witwen- und Witwerrente etc.

GESETZGEBUNG ZUR EHE FÜR ALLE IN EUROPA

DUNKELBLAU: Eheschließung möglich
HELLBLAU: Eingetragene Partnerschaft
GESTREIFT BLAU: Eingeschränkte Anerkennung im Inland (Zusammenleben)
GESTREIFT LILA: Eingeschränkte ausländische Anerkennung (Aufenthaltsrecht)
GRAU: Nicht anerkannt oder unbekannt
ROT: Die Verfassung beschränkt die Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare
¹ Kann neuere Gesetze oder Gerichtsentscheidungen enthalten, die noch nicht in Kraft getreten sind

Quelle: Silje L. Bakke, Wikimedia

„Ich sage immer, wir zahlen dieselben Steuern aber bekommen nicht die gleiche Behandlung“, sagt Ondrej. Tomas stimmt ihm zu und ergänzt: „Wir wollen, dass dieses Land gedeiht und alles. Aber warum will das Land uns nicht hier haben? Es geht nur darum zu sagen, dass ihr wichtig seid. Du hast einen Platz in dieser Gesellschaft.“

Nach einer ersten Lesung hat das tschechische Parlament im Juni 2023 zwei sehr gegensätzliche Gesetzesentwürfe angenommen. Während der erste Entwurf den Grundstein für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe legt, will der zweite Entwurf die Ehe als Partnerschaft zwischen Mann und Frau in der Verfassung festschreiben. Falls dieser zweite Entwurf eine Mehrheit findet, woran Ondrej und Thomas aber nicht glauben, wäre das für queere Menschen in Tschechien eine Katastrophe.

GESCHICHTE DER EHE FÜR ALLE IN TSCHECHIEN

1962 Tschechien entkriminalisiert Homosexualität

2006 Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft

2011 Erste Pride-Parade in Prag

2018 Gesetzentwurf für die Ehe für Alle wird eingebracht

2021  Abgeordnetenhaus stimmt in der erster Lesung für die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, Legislaturperiode endet aber vor weiterer Abstimmung

2022 Ehemaliger Präsident kündigt Veto gegen Ehe für Alle an, der neue Präsident Petr Pavel unterstützt das Vorhaben

2023 Abgeordnetenhaus stimmt in der ersten Lesung für die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare

2023 Abgeordnetenhaus stimmt in der ersten Lesung für die Festschreibung der Ehe zwischen Mann und Frau

Beide studieren im Masterstudium Gender Studies, Tomas arbeitet bei einem Kosmetikunternehmen, Ondrej im öffentlichen Sektor. Um sich für die queere Community einzusetzen, findet Ondrej es besonders wichtig, über das Thema offen zu sprechen: „Manchmal haben die Leute das Gefühl, dass LGBTQ-Akteure nur in Prag leben oder dass sie nicht so sind wie normale Menschen, weil wir sie nicht kennen und nur im Fernseher sehen. Aber ich habe das Gefühl, seit ich mich geoutet habe, denkt auch meine Großmutter: Oh, ich kenne tatsächlich jemanden und es ist mein Enkel.“ Thomas stimmt ihm zu, er engagiert sich zudem bei seiner Arbeit in einer Gruppe für Diversität und Inklusion.

In Prag wird das Pride-Festival gefeiert

In dieser Woche ist die LGBTQ+ Community in Prag besonders sichtbar. Im Rahmen der Pride-Week wurden an vielen Gebäuden Regenbogenflaggen gehisst. Eine Woche lang finden dutzende Veranstaltungen, Partys und Events statt, mit denen zum einen queeres Leben gefeiert und gleichzeitig auf immer noch existierende Missstände aufmerksam gemacht werden soll. Auch Ondrej und Tomas besuchen verschiedene Events der Pride.

Eindrücke vom Prague Pride Festival

Auf einer Insel in der der Moldau mit Blick auf die Karlsbrücke befindet sich in diesem Jahr das sogenannte „Pride Village“. Ondrej spaziert über das Gelände, vorbei an einer Bühne, Infoständen- und Essensbuden. Die Organisation Jsme Fer („Wir sind gleich“) sammelt Unterschriften für eine Petition zur Einführung der Ehe für Alle, klärt auf und mobilisiert die Politiker*innen. Viele junge Menschen haben sich auf der Insel versammelt. Einige tragen Regenbogenflaggen und sitzen in kleinen Gruppen auf der Wiese, spielen Karten, machen Bilder. Ondrej erkennt einige Menschen, die heute ins Pride Village gekommen sind: eine Politikerin, die sich für die Ehe für Alle stark macht, einen berühmten Designer, eine bekannte Dragqueen. „Es ist eine kleine Community“, sagt er.

Ob die Ehe für Alle bald kommt, ist ungewiss

Die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung ist für die Ehe für Alle. Ondrej und Tomas bezweifeln aber, dass die Ehe für Alle bald eingeführt wird. Sie befürchten, dass der Prozess so lange von den Konservativen herausgezögert wird, bis die Regierungszeit vorbei ist. „In meinen Augen und was die Daten sagen, ist es das Parlament, das nicht handeln will. Es ist nicht das Volk“, sagt Ondrej. Wenn die Ehe für Alle doch kommen würde, wäre das für Tomas „ein Wunder, ein schönes Wunder“.

Was die beiden an ihrer Beziehung schätzen? „Den Respekt, das Vertrauen, die Offenheit“, sagt Tomas. „Die Unterstützung, die Gespräche, sich gegenseitig aus der Komfortzone holen“, ergänzt Ondrej. Darüber zu sprechen, macht sie etwas verlegen.

Stereotype über homosexuelle Paare nerven sie: „Man sieht sich ein gleichgeschlechtliches Paar an und denkt: ,Oh, wer ist der Mann in der Beziehung oder wer ist die Frau?‘ Diese vorgeschriebenen Rollen ärgern mich, denn das geht zurück auf stereotype Ansichten darüber, was es heißt, eine Frau zu sein, was es heißt, ein Mann zu sein“, erklärt Ondrej.

In der Zukunft wollen Ondrej und Tomas ihr Masterstudium beenden und in ihrer Beziehung den nächsten Schritt machen: Sie wollen einen Hund kaufen, einen Dalmatiner.

WELCHE PARTEIEN UNTERSTÜTZEN DAS VORHABEN?

Viele Parteien sind gespalten. Die Piraten und Sozialdemokraten unterstützen die Ehe für Alle. Die populistische ANO (derzeit größte Partei) ist gespalten. Viele Kommunisten, Rechte und Konservative lehnen das Vorhaben entweder komplett ab oder setzen sich für Alternativen ein (z.B. stellten die Christdemokraten einen Gesetzentwurf vor, der bestehende Lebenspartnerschaften aufwertet, aber nicht von Ehe spricht und Adoptionsrechte beschränkt.)

WAS JETZT?

Der Entwurf für die Ehe für Alle geht für maximal 120 Tage in die Ausschüsse. In der zweiten Lesung können Zusatzanträge gestellt und Änderungen vorgenommen werden. Maximal drei Tage später findet eine endgültige dritte Lesung statt. Daraufhin ist innerhalb von 30 Tagen eine Entscheidung im Senat fällig. Anschließend muss der Präsident innerhalb von 15 Tagen den Entwurf unterzeichnen oder ein Veto einlegen (er kann mit absoluter Mehrheit aus der Abgeordnetenkammer überstimmt werden).

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