Schlag zurück
Im Park treffen sich Frauen zu einem kostenlosen Selbstverteidigungskurs. Sie wollen lernen, ihre eigene Stärke zu entdecken und nicht länger zum Opfer werden. Wie geht das?
Im Park spielt laute Bass-Musik, eine Gruppe Frauen sitzt im Kreis auf der Gänseblümchenwiese. Dazwischen ist sie: Isi. Die Arme hat sie verschränkt, der Kiefer ist angespannt. Ihre Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden, ihre Augen hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Skeptisch mustert sie den Trainer. Das, was sie hier gleich lernen wird, soll sie bei Angriffen schützen. Von diesen Angriffen hat sie mit ihren jungen 26 Jahren schon gleich zwei erleben müssen. Heute will sie lernen, wie sie reagieren kann, sollte es nochmal dazu kommen.
Isi – ein Spitzname, weil ihr echter Name geheim bleiben soll – kennt das Gefühl von Angst. Vor zwei Jahren attackierte sie ein Obdachloser von hinten und ließ sie weinend am Boden zurück. „Niemand hat mir geholfen, am helllichten Tag“, erinnert sie sich. Ihr Gesicht ist regungslos, während sie davon erzählt. Nach dem Angriff habe sie sich monatelang hilflos gefühlt. Kurz darauf probierte sie dann Boxtraining. „Kampfsport hat mir Spaß gemacht“, sagt sie, „aber ich hatte Angst, mich oder andere zu verletzen.“ So hat sie damals gedacht. Heute sagt sie: „Man muss das Risiko eingehen.“
Jetzt, beim Selbstverteidigungskurs im Park, geht Isi rückwärts und übt mit konzentrierter Miene das Distanzhalten. Die Arme hält sie oben, bereit zum Abblocken. Immer wieder. Um sie herum proben Cheerleader ihre Hebefiguren, Studenten tanzen einen Mini-Rave, es wird Fußball gespielt. Grinsend hält Isi sich die Hand vor die Stirn. Sie wird trotz Sonnenbrille geblendet. Ihre Übungspartnerin erzählt von ihrer Angst, die Techniken, die sie gerade erlernen, im Ernstfall anwenden zu müssen. Isi sagt verschmitzt: „Ich kann das irgendwie nicht so ernst nehmen.“ Schließlich weiß sie genau, wie sich so ein Ernstfall anfühlt.
Erst vor zwei Wochen wurde sie wieder von hinten niedergeschlagen – erneut tagsüber. Danach war für Isi klar: Sie muss sich wehren können. Also meldete sie sich für den kostenlosen Selbstverteidigungskurs an. Sie ist überzeugt: Bei der Selbstverteidigung geht es nicht um reine Kraft, sondern vor allem um Technik und Reaktionsgeschwindigkeit.
Kurz vor Ende des Kurses, öffnet sich Isi dann doch noch. „Vor allem abends, wenn ich nach Hause gehe, habe ich Angst“, sagt sie, „meinen Schlüssel habe ich dann immer griffbereit, zwischen die Finger geklemmt.“ Ein betretenes Schweigen. Alle in der Runde nicken bedächtig, schauen zu Boden. Dann ruft eine andere Teilnehmerin: „Tolle Männer wechseln die Straßenseite.“ Einige lachen, die Anspannung löst sich. Nach der letzten Übung sagt Isi überzeugt: „Ich möchte weiterüben, ich glaube ich muss das.“ Sie findet es unfair, dass Frauen sich überhaupt wehren müssen. Doch noch schlimmer sei es für sie, sich nicht wehren zu können.