Wie Haare ein Stück Lebensfreude zurückgeben

Krebskranke, Alte und Menschen mit Haarausfall kommen zu ihr: Janinne Starke. In ihrem Geschäft verkauft sie Perücken. Dabei geht es um mehr als nur Haare. 

Über 50 weibliche Köpfe starren jedem Besucher des kleinen Ladens schon im Eingangsbereich entgegen. Dunkle Augen, volle Lippen, leerer Blick. Auf drei weißlich beleuchteten Regalen stehen gleich mehrere Perückenständer, Seite an Seite. Ausgefallene Frisuren zieren in verschiedenen Farben die künstlichen Köpfe: blonde Shaggy Bobs, schwarze Pixie Cuts oder rote Ponyvariationen. In dem Geschäft dreht sich alles um Haare: Hier verkauft Janinne Starke Perücken an Menschen, die keine eigenen Haare mehr haben.

Seit mehreren Jahren führt Starke zusammen mit ihrer Schwester Ines das Familiengeschäft. Zu ihr kommen verschiedene Kunden. Da ist die krebskranke Mutter, die eine Chemotherapie machen muss. Da ist die ältere Dame, die unter Haarausfall leidet. Da ist der Herr, den seine Glatze stört. Für Starke, 40 Jahre alt, dunkelblonder Pferdeschwanz, warmer Blick, geht es dabei nicht nur um Äußerlichkeiten. „Wenn ich jemandem neue Haare gebe, kann ich ihm helfen, sich wieder wohl in seiner Haut zu fühlen“, sagt sie und schiebt sich die leuchtend rote Brille die Nase hoch, „am schönsten finde ich es, dass ich dadurch einem Menschen wieder ein bisschen Freude machen kann!“

Die gläserne Eingangstür geht auf und mit der kalten, frischen Luft von der Straße kommt eine kleine, alte Frau herein. Ihre Haare sind graubraun, sehr kurz und erinnern an Flausen. Starke begrüßt die Kundin mit einem breiten Lächeln und schickt sie in den hinteren Ladenteil. Dort wartet bereits Starkes Schwester Ines. Sie hält der Dame die Tür ins Besprechungszimmer auf und geht anschließend selbst hinein. Jetzt beginnen die Beratung und die Suche nach der passenden Perücke für die Dame.

Es kann verschiedene Gründe haben, wieso Menschen Perücken brauchen. In Deutschland leben fast 500.000 Menschen, die an Krebs erkrankt sind. Viele von ihnen müssen sich einer aggressiven Chemotherapie unterziehen. Eine der häufigsten Nebenwirkungen: der Verlust der eigenen Haare. Auch zu Starke kommen viele Chemo-Patienten. Menschen wie ihnen durch eine geeignete Perücke wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu können, motiviere sie, das Geschäft auch noch viele Jahre weiterzuführen, sagt Starke. Ihr Zopf wippt auf und ab, als sie sich einem ihrer Perückenköpfe nähert. Die darauf drapierten Haare sind dunkelrot und in einem gerade Bob geschnitten. 

Ihre Arbeit falle ihr nicht immer leicht, sagt Starke. Oft fiebere sie mit ihren Kunden mit. Besonders leid täten ihr junge Menschen und Schwangere. Manchmal wisse sie bereits beim Anprobieren der Perücken, dass ihre Kunden eine schlechte Prognose hätten. „Da spüre ich: Die sieht man vielleicht nicht wieder“, sagt Starke. 

Viele Geschichten ihrer Kunden kann sie bis heute nicht vergessen. Besonders getroffen hat sie vor einigen Jahren die Geschichte einer Mutter, die an Krebs erkrankt war. Während der Chemotherapie kam die Kundin zu Starke, um sich selbst mit einer Perücke wieder etwas Lebensfreude zu schenken. Während ihrer Besuche bei Starke erzählte die Frau ihr, dass sie im Gefühl habe, den Krebs nicht besiegen zu können. Sie habe deshalb begonnen, Briefe zu schreiben: 18 Stück. Für jeden zukünftigen Geburtstag ihrer noch sehr kleinen Tochter einen. Tatsächlich starb die junge Mutter einige Monate später an ihrer Krankheit. Starke denkt noch heute oft an sie.

Starke weiß, dass ihre Arbeit auch eine emotionale Therapie für ihre Kunden ist, die eigentlich „nur“ Perücken suchen. Manche Schicksale nehme sie dann auch mit nach Hause, sagt sie. ,,Man kann nicht einfach die Tür hinter sich abschließen und ganz normal weitermachen“, sagt sie und seufzt, ,,doch auch ich lerne viel von meinen Kunden – sie machen mich stärker!“

Die JONA ist das Journalismus-Stipendium

Wir bilden Euch zu Journalisten aus – und das neben dem Studium! Bewirb Dich um ein Stipendium der Journalistischen Nachwuchsförderung der KAS. Derzeit fördern wir etwa 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz Deutschland. Diese können an tollen Journalismus-Seminaren teilnehmen und werden zusätzlich sogar finanziell gefördert. Infos zur Bewerbung findest Du auf unserer Seite und auf Instagram.

Mehr erfahren