EINGEFLEISCHT

Die Fleisch-Brauerei

Das tschechische Start-up Mewery züchtet Fleisch im Labor, das komplett ohne Tierleid auskommen soll. In der EU darf das Zeug noch nicht einmal probiert werden, doch Gründer Roman Lauš hat sowieso größere Pläne.

Fleisch oder kein Fleisch? Der Mewery-Burger sieht in jedem Fall schon sehr realitätsnah aus. Quelle: Mewery.

Vegetarisch essen kann in Tschechien eine echte Herausforderung sein. In kaum einem Land prägt Fleisch die regionale Küche so sehr wie hier. Gulasch, Lendenbraten, Mährischer Spatz (gebratene Schweinefleischstücke), Schweinekamm, Ente und Schweinshaxe dominieren die Speisekarte des traditionsreichen Tourismushotspots U Fleků in Prag. In anderen tschechischen Restaurants ein ähnliches Bild. Unzählige Portionen Fleisch stehen vor den Besucher:innen auf den Bierbänken.

Doch rund drei Stunden südöstlich vom U Fleků arbeitet ein kleines Team gerade daran, dass dafür irgendwann mal kein Tier mehr sterben muss. Kultiviertes Fleisch, auch als In-Vitro-Fleisch oder Laborfleisch bekannt, heißt die Idee, mit der sich inzwischen rund 150 Firmen weltweit beschäftigen und die einmal die industrielle Massentierhaltung beenden soll. Eine der wenigen europäischen Firmen: Mewery aus Brünn, Tschechiens zweitgrößter Stadt.

Das Mewery-Team um Roman Lauš (3. v. l.). Quelle: Mewery.

Gucken ja, fotografieren nein

Dort arbeitet Roman Lauš, der Mewery-Gründer, mit seinem Team an der Mendel-Universität. Ein lebensgroßes Modell einer Kuh begrüßt beim Betreten des Biotechnologie-Pavillons, an den Wänden hängen wissenschaftliche Zeichnungen von Schweinen. Doch mit diesen Abbildern kann Lauš nichts anfangen. Worum es ihm geht, findet auf viel kleinerer Ebene statt. Genauer gesagt auf Zellebene.

Vladislav Strmiska ist im Mewery-Team der Mann für diese Ebene. Der Zellbiologe und Harvard-Research-Fellow führt durch die Laborflächen, die die Firma an der Universität gemietet hat. Routiniert rattert er die Bezeichnungen der Laborgeräte herunter, gleichzeitig strahlen seine Augen, wenn er erklärt, was hier gerade entsteht. In etwa zehn Zylindern blubbern trübe Flüssigkeiten, die meisten sind rot, manche grün oder gelblich. Zwei Kühlschränke können Temperaturen von bis zu -87 Grad Celsius erreichen. Auf dem Tisch stehen Erlenmeyerkolben, beschriftet mit zwei Wörtern, die man hier nicht nennen darf. Patent-Gründe, sagt Lauš. Fotografieren sei deswegen leider auch nicht möglich. Er will gerne kontrollieren, was nach außen dringt.

Vladislav Strmiska in seinem Element. Quelle: Mewery.

Fleischbällchen, Wurst und Burger vom Laborschwein

Drei Produkte kann Mewery bis jetzt in Prototyp-Form herstellen: Fleischbällchen, Würste und einen Burger-Bratling, alles vom Schwein, das ja eigentlich gar keines ist. Verarbeitetes Fleisch wie Hack oder Wurst ist einfacher heranzuziehen als beispielsweise ein komplexes Steak aus Muskelfleisch mit unregelmäßigen Faserstrukturen oder Fettschichten, deshalb setzen die meisten Laborfleisch-Hersteller auf solche Produkte.

Aus einer tierischen Stammzelle wächst in einer Nährlösung rund ein Kilo Fleisch heran, oder, wie Strmiska es nennt, ein Kilo „Biomasse aus Säugetierzellen“. Bei 37 Grad, knapp 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und 5 Prozent CO2 simuliert ein Inkubator das Innenleben eines Säugetiers. In diesen Wachstumsbedingungen verdoppelt sich die tierische Stammzelle immer weiter und wird so zum Fleisch.

Einen Monat dauert dieser Prozess etwa. Exponentielles Wachstum macht es möglich. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Lebensdauer eines Schweins in Massentierhaltung beträgt sechs Monate. Das Besondere bei Mewery: Während die Konkurrenz meist fetales Kälberserum als Hauptbestandteil der Nährlösung verwendet, setzt die tschechische Firma auf Mikroalgen als Ersatz. Denn das Serum wird aus dem Blut lebender Kälberföten gewonnen, die dadurch versterben. Tierwohl sieht anders aus.

Mit Algen in die Brauerei

Als erstes europäisches Start-up will Mewery das besser machen. Deshalb züchten sie Mikroalgen in den bunten, blubbernden Tanks. Und für eine weitere Sache können die Algen nützlich sein: Wachsen die Zellen heran, brauchen sie ein Gerüst, dass ihr Wachstum leitet und dem „Fleisch“ Struktur verleiht. Auch das sollen die Algen ermöglichen. Marktreif ist davon bei Mewery noch nichts. Roman Lauš macht sich deshalb aber keine Sorgen: „Es ist immer noch eine Pionierphase innerhalb der ganzen Industrie, die es erst seit zehn Jahren gibt. Uns gibt es erst seit zwei Jahren.“

Der Name Mewery leitet sich übrigens aus Meat (Fleisch) und Brewery (Brauerei) ab, ein Hinweis darauf, wie künftige Produktionsstätten aussehen werden. Das habe nichts mit dem Bild eines Steaks aus der Petrischale zu tun, dass als erstes aufploppt, „wenn du kultiviertes Fleisch googelst“, sagt Lauš. Natürlich werde das Produkt im Labor entwickelt, aber das werde der Joghurt aus dem Supermarkt ebenfalls. Die eigenen Pressefotos sehen trotzdem reichlich futuristisch aus.

Probieren nicht erlaubt

Global sind vor allem Firmen aus den USA und Israel federführend, bis jetzt wurden nur in Singapur und in den USA überhaupt Produkte zum freien Verkauf zugelassen. In Europa darf das künstlich hergestellte Fleisch währenddessen noch nicht einmal von externen Personen verköstigt werden, nur Mitarbeitenden ist das erlaubt. Wie schmeckt’s also dem Chef selbst? „Wir kombinieren schweineähnliche und pflanzliche Zellen. Aber es ist trotzdem um Längen besser als jedes pflanzenbasierte Produkt.“

Dass Roman Lauš irgendwann mal sein eigenes Fleisch aus dem Labor probieren würde, schien lange unrealistisch. Für fast zwanzig Jahre hatte der Tscheche mit seiner Firma im E-Learning-Bereich gearbeitet, die Video- und Lerndateien übersetzt und in andere Formate umwandelt. Microsoft, Google und Apple wurden Kunden und Lauš finanziell unabhängig. Der 44-Jährige hatte Luft, sich mit anderen Themen auseinanderzusetzen: „Ich habe begonnen, in Start-ups zu investieren. Manches war erfolgreich, manches nicht“.

Vom Silicon Valley nach Böhmen

Eines der erfolgreichen Projekte: der „Future Port Prague“, eine internationale Konferenzreihe zu Zukunftstechnologien. Ein bisschen Silicon Valley in Böhmen. 2019 zu Gast unter anderem JUST aus San Francisco, Pioniere in der Welt des Laborfleisches. Lauš war beeindruckt: „Ich habe mir gewünscht, dass ich irgendwann mal ein Teil davon sein werde“.

CEO Roman Lauš. Quelle: Mewery.

Und dann kam dieses „irgendwann“ schneller als gedacht, mit der Pandemie war Schluss mit internationalen Konferenzen und Lauš begann, sich intensiver mit der Idee des Laborfleisches auseinanderzusetzen. Wie der Zufall es so will, arbeitet seine Partnerin als klinische Biologin und führt ihn in die Welt der Zellbiologie von Säugetieren ein. Ein paar Marktanalysen, Businesspläne und Investorenrunden später wurde aus dieser Idee dann Mewery.

Geschäft und Gewissen

Also am Ende nur ein neues gutes Business für Lauš? „Natürlich ist es ein Geschäft mit großem Potential“, sagt er. Aber es sei mehr als das, vor allem der soziale und ethische Einfluss bewege ihn: „Ich bin kein Aktivist, der sich an einen Baum kettet, um zu verhindern, dass er abgeholzt wird, aber ich mag es, etwas zu verändern“.

Dafür ist er auch selbst in finanzielle Vorleistung gegangen, dann kamen erste Investor:innen wie der amerikanische Wagniskapitalgeber „Big Idea Ventures“ hinzu. Inzwischen läuft eine weitere Investitionsrunde, für die Lauš gerade durch die Welt tourt und für das Unternehmen trommelt. Gerade kommt er aus Boston vom fünften „Industrial Cultivated Meat and Seafood Summit“ im Hilton Hotel zurück.

Zuhause in Brünn läuft alles noch eine Spur bescheidener, immerhin das eigene Büro hat noch ein Einrichtungshaus-Facelift bekommen und setzt sich vom grauen Funktionalbau der Uni ab. Bevor das Interview starten kann, muss Lauš noch kurz einen LinkedIn-Post absetzen, den er direkt mit dem persönlichen Account teilt. Eine:n Social-Media-Manager:in oder ein Presseteam sucht man bei Mewery vergeblich, hier postet der Chef noch selbst.

Anschluss an die internationale Konkurrenz nicht verlieren

Viel Platz wäre im Brünnschen Büro aber auch nicht. Zwar hat die Firma von der Universität ein paar Räume und etwas Laborfläche angemietet, dennoch teilt sich das 13-köpfige Team das Gebäude mit anderen Forschenden und Studierenden. Einerseits schätzt Lauš diesen Austausch, durch die Universität hat er Zugang zu „billigen“ Doktorand:innen, wie es auf einer Präsentation für Investor:innen heißt.

Firmensitz und Labor des Mewery-Teams: Der biotechnologische Pavillon der Mendel-Universität in Brünn. Quelle: Benedikt Scherm.

Andererseits fühle er sich vom tschechischen Staat im Stich gelassen, Förderung für sein Projekt gebe es bis dato keine: „Ehrlich gesagt sollten Staat und Regierung für unsere Forschung zahlen.“ Ansonsten würde Europa abhängt werden von der Konkurrenz in China, Israel oder den USA, wie beispielsweise auch beim Thema Künstliche Intelligenz oder E-Autos.

Wann es so weit ist mit dem Durchbruch des kultivierten Fleisches, kann Lauš schwer sagen, Mewery will 2024 zuerst auf dem amerikanischen Markt starten. Dort stehe man dem Thema auch insgesamt aufgeschlossener gegenüber, sagt er. Bis es im U Fleků Mewery-Fleisch gibt, kann es also noch dauern. Die vegetarischen Alternativen bis dahin: die Vegetarische Platte (Halloumi-Käse, gegrilltes Gemüse, Kartoffelbrei) und der panierte Käse mit Pommes.

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