„Musik ist ein glücklicher Job“

Eine Berliner Unterführung ist die Bühne für András Tiborcz. Der Straßenmusiker spielt dort sogar an Heilig Abend Geige.  

Aus der düsteren Unterführung, die zur Siegessäule führt, erklingen die hellen Töne einer Geige. Eine dramatische Melodie hallt laut von den Wänden des langen Gangs wider. In der Mitte der Unterführung steht ein älterer Mann mit Glatze und streicht mit seinem Bogen leidenschaftlich über die Saiten seiner Geige. 

András Tiborcz ist 67 Jahre alt, und wenn er nicht gerade Musikunterricht gibt oder mit seiner Band „Transsylvanians“ auf Tour ist, spielt er in dieser Unterführung sechs bis acht Stunden am Tag. Mit 30 Jahren ist András nach Berlin gekommen. Zuvor hat er in Australien als Staßenmusiker gearbeitet. Ungarn hat er mit 25 verlassen. Sein Geburtsland schien ihm zu konservativ, außerdem wollte er nicht in die Armee eingezogen werden.  

“Kannst Du nochmal das Pippi Langstrumpf-Lied spielen”, fragt ein kleines Mädchen in einem Pünktchenrock mit Piepsstimme. András springt von seinem Stuhl auf, wippt mit dem ganzen Körper beim Spielen und summt fröhlich mit. „Musik ist ein glücklicher Job“, sagt er lachend. Seine Bühne ist die Unterführung. „Hier ist mein Lieblingsplatz, ich bin super happy hier“, sagt er. Nicht nur die tolle Akustik in der Unterführung zieht ihn an, sondern auch die vielen Menschen, mit denen er plaudern kann. „Ich bin immer hier“, berichtet er. “Sogar an Weihnachten.” 

Sein Onkel hat András das Geigespielen beigebracht, als er noch klein war. Danach ist er in Ungarn auf ein Musikgymnasium gegangen und hat anschließend Jazz-Musik in Budapest studiert. Parallel dazu spielte er in verschiedenen Bands mit.

Die Lockdowns während der Corona-Pandemie waren für ihn besonders hart. Keine Aufführungen mit der Band, auch in der Unterführung spielte er nicht: zu wenig Publikum. Das hat András auch in seinem Geldbeutel gemerkt: Normalerweise verdiene er etwa 100 Euro mit der Straßenmusik. Geige hat er natürlich trotzdem gespielt. Zusammen mit seinen Freunden, seiner Partnerin und zwei Kindern haben sie „wie eine Großfamilie“ musiziert.

András beobachtet, dass Straßenmusik seit den Lockdowns mehr wertgeschätzt wird. “Die Leute haben echte Musik vermisst”, sagt er. Musik ist für András aber nicht nur Freude, sondern auch politisch. Wenn bei einer Demonstration 50 schwer bewaffnete Polizisten durch die Unterführung an ihm vorbeirennen, spielt András am liebsten „The Imperial March“ aus Star Wars.

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